Der Goldkäfer
von E. A. Poe (Ausschnitt) Die Lösung - schrittweise
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»[...] Es reizte mich immer sehr, solche
Rätsel zu lösen, und außerdem ist es sehr zu bezweifeln,
ob der menschliche Scharfsinn ein Rätsel ersinnen könnte, das
menschlicher Scharfsinn bei gehörigem Fleiß nicht wieder zu
lösen vermöchte! Und in der Tat dachte ich, nachdem ich dem Pergament
die Zeichen einmal entlockt hatte, kaum mehr daran, es könnte irgendwie
schwierig sein, ihren Sinn zu enträtseln.
In meinem Fall, ja, wohl in allen Fällen, in denen es sich um Geheimschrift handelt, ist die erste Frage die, in welcher Sprache die Chiffre geschrieben ist, denn die Prinzipien der Lösung hängen, besonders wenn es sich um einfachere Chiffren handelt, fast allein von dem Geist der betreffenden Sprache ab. Im allgemeinen bleibt jemandem, der eine solche Geheimschrift lesen will, nichts übrig, als mit allen ihm bekannten Sprachen die Experimente anzustellen, die ihm am ehesten Erfolg zu versprechen scheinen, bis er endlich das Richtige findet. Jedoch die Unterschrift unserer Chiffre enthob mich jeder Schwierigkeit. Das Wortspiel ›Kidd‹ wies mich klar und deutlich auf die englische Sprache. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte ich mit der spanischen oder französischen Sprache begonnen, da sich die Piraten aus den spanischen Gewässern ihrer wohl am ehesten bedient haben würden. So jedoch mußte ich annehmen, die Chiffre beziehe sich auf die englische Sprache. Sie sehen, daß die Worte nicht voneinander getrennt sind; in diesem Fall wäre meine Arbeit bedeutend leichter gewesen. Ich hätte dann damit begonnen, die kürzeren Worte zu analysieren und miteinander zu vergleichen, und hätte ich ein aus einem einzigen Buchstaben bestehendes Wort gefunden - ein ›a‹ oder ›J‹ zum Beispiel -, so hätte ich die Lösung als gelungen ansehen können. Doch da die Worte eben nicht abgeteilt waren, beschränkte ich mich darauf, die am häufigsten sowie die am seltensten vorkommenden Buchstaben ausfindig zu machen. Als ich alle gezählt hatte, fertigte ich folgende Tabelle an: |
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Nun kommt in der englischen Sprache der Vokal e am öftesten vor.
Dann folgen t, o, a, n, i, r, s, h ,d, l, c, f, u, m, p, y, w, g, b, v,
k, x, j, q, z. Der Buchstabe e jedoch herrscht so auffallend vor, daß
man überhaupt kaum einen längeren Satz trifft, in dem er nicht
bedeutend öfter als alle übrigen Buchstaben enthalten ist.
Wir haben also hier gleich am Anfang die Grundlage zu einer sicheren Vermutung. Wie nützlich im allgemeinen eine Tabelle wie die unsrige ist, liegt auf der Hand, bei unserer Geheimschrift jedoch werden wir sie nur teilweise nötig haben. Unsere vorherrschende Chiffre ist 8, und wir wollen damit beginnen, sie als das e des natürlichen Alphabetes anzusehen. Um uns von der Richtigkeit unserer Vermutung zu überzeugen, forschen wir noch nach, ob die Zahl 8 oft paarweise vorkommt - ein doppeltes e findet man im Englischen sehr häufig, man denke nur an meet, fleet, speed, seen, been, agree usw. Wir finden denn auch die Zahl nicht weniger als fünfmal doppelt vor, obwohl die ganze Mitteilung nur sehr kurz ist. Nehmen wir also an, 8 bedeute e. Nun aber kommt von allen englischen Wörtern der Artikel ›the‹ am
häufigsten vor; wir müssen also nachforschen, ob wir nicht Wiederholungen
von drei Zahlen in derselben Reihenfolge finden, deren letzte eine 8 ist.
Gelingt uns dies, so können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen,
daß sie das Wort ›the‹ bedeuten. Bei genauer Untersuchung finden
wir nicht weniger als sieben solcher Zeichenstellungen, und zwar die Chiffren
; 4 8.
Nachdem wir dies eine Wort gefunden haben, können wir einen anderen
unendlich wichtigen Punkt feststellen, nämlich verschiedene Wortanfänge
und Endungen. Sehen wir uns die Stelle an, wo die Kombination ; 4 8 zum
vorletztenmal vorkommt - nicht weit vom Ende der ganzen Schrift.
Sehen wir etwas weiter, so finden wir bald wieder die Kombination ;
4 8 und wollen sie diesmal als Endung für das, was unmittelbar voransteht,
gebrauchen. [...]
Durchsuchen wir nun die Chiffre von neuem, um Verbindungen bekannter
Zeichen herauszufinden, so entdecken wir ziemlich am Anfang die Anordnung:
Vier Zeichen hinter dem Wort degree sehen wir die Kombination ; 4 6
( 8 8 *
Betrachten wir nun den Anfang des Kryptogramms, so finden wir die Verbindung:
5 3 + + !
[...] Wir kennen also bis jetzt nicht weniger als zehn der wichtigsten
Buchstaben, und es ist unnötig, auf die Details der Lösung noch
weiter einzugehen. Ich habe Ihnen genügend gezeigt, daß Chiffren
dieser Art sehr leicht lösbar sind und auf welche Prinzipien man ihre
Lösung aufbaut. Doch glauben Sie mir, daß die vorliegende Geheimschrift
wohl die einfachste ist, die ich je kennengelernt habe.
[Zwischenstand 08] [entschlüsselter Text] [entschlüsselter Text auf Deutsch] »Aber«, warf ich ein, »das Rätsel erscheint mir noch immer so unlösbar wie vorher. Wie konnten Sie nur aus dem Kauderwelsch von ›Teufelssitz‹, ›Totenkopf‹ und ›Bischofshotel‹ einen Sinn entnehmen?« [...] »Auch ich tappte einige Tage noch ganz im dunkeln«, erwiderte Legrand. »Zunächst erkundigte ich mich eifrig in der Umgegend der Sullivans-Insel, ob vielleicht irgendein Haus den Namen Bischofshotel führte. Als ich jedoch nicht das geringste erfahren konnte, wollte ich den Kreis meiner Nachforschungen schon erweitern und systematischer vorgehen, da fiel mir plötzlich ein, dies ›Bischofshotel‹ könne seinen Namen vielleicht von einer alten Familie Bessop herleiten, die vor langen, langen Jahren etwa vier Meilen nördlich von der Insel einst ein großes Farmhaus besessen hatte. Ich ging also auf diese Plantage hinüber und setzte meine Erkundigungen unter den älteren Negern fort. Endlich hörte ich von einem uralten Weibe, daß sie das Bischofs- oder Bessopskastell wohl kenne und mich dahinführen könne, doch sei es weder ein Schloß noch ein Wirtshaus, sondern ein hoher Felsen . Ich versprach ihr eine gute Bezahlung für ihre Mühe, worauf sie sich nach einigem Besinnen bereit erklärte, mich an den betreffenden Ort zu bringen. Wir fanden ihn ohne weitere Schwierigkeit; ich entließ meine Führerin und begann meine Untersuchungen anzustellen. Das ›Kastell‹ bestand aus unregelmäßig aufeinandergetürmten Klippen und Felsen, von denen einer sowohl durch seine Höhe wie durch seine isolierte, fast künstliche Stellung auffiel. Ich kletterte auf seine höchste Spitze und wußte dann nicht recht, was ich nun weiter beginnen sollte. Als ich noch darüber nachsann, fielen meine Blicke auf einen schmalen Vorsprung an der Ostseite des Felsens, vielleicht eine Elle unter dem Gipfel auf dem ich stand. Dieser Vorsprung stand etwa achtzehn Zoll von dem Felsen ab und war nicht mehr als einen Fuß breit; eine Nische im Felsen gerade über dem Vorsprung gab diesem eine ungefähre Ähnlichkeit mit einem jener Stühle mit gewölbtem Rücken, derer sich unsere Vorväter bedienten. Ich zweifelte nun nicht mehr, daß dies der Teufelssitz sei, von dem das Pergament sprach, und glaubte nun, die ganze Lösung des Rätsels in der Hand zu haben. Das ›gute Glas‹ konnte sich meines Erachtens auf nichts anderes als auf ein Teleskop beziehen, da das Wort ›Glas‹ bei Seeleuten selten in anderem Sinne gebraucht wird. Ich mußte mir also ein Teleskop verschaffen sowie einen Standpunkt aufsuchen, der nicht der geringsten Veränderung unterlag, während ich meine Beobachtungen anstellte. Auch nahm ich sofort als sicher an, daß die Worte: ›einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‹ und ›nordöstlich und nördlich‹ die Richtung beim Einstellen des Glases angeben sollten. Ziemlich erregt über diese Entdeckungen eilte ich nach Hause, verschaffte mir ein Teleskop und kehrte in kürzester Zeit zu dem Felsen zurück. Vorsichtig glitt ich auf den Vorsprung hinab und fand, daß man nur in einer einzigen Stellung einen sicheren Sitz auf ihm einnehmen konnte. Diese Tatsache bestärkte mich nur noch in meiner vorgefaßten Meinung, und ich schickte mich an, das Glas zu gebrauchen. Die Worte ›einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‹ konnten natürlich keinen anderen Sinn haben, als die Höhe über dem sichtbaren Horizont anzugeben, da die horizontale Richtung durch die Worte ›nordöstlich‹ und ›nördlich‹ deutlich genug bezeichnet worden war. Diese Richtung stellte ich mittels meines Taschenkompasses fest und bewegte dann das Teleskop, nachdem ich es, so genau ich nur konnte, auf einen Winkel von einundvierzig Grad Höhe eingestellt hatte, behutsam auf und ab, bis meine Aufmerksamkeit durch die kreisrunde Öffnung im Laubwerk eines Baumes erregt wurde, der über alle seine Nachbarn weit hervorragte. Im Mittelpunkt dieser Öffnung gewahrte ich einen weißen Punkt, konnte aber anfänglich nicht erkennen, was es war. Ich stellte das Teleskop schärfer ein, schaute abermals angestrengt hin und erkannte einen Totenschädel. Nach dieser Entdeckung hielt ich höchst erfreut das Rätsel
schon für gänzlich gelöst, denn der Satz: Hauptast, siebenter
Ast, Ostseite konnte sich nur auf die Lage des Schädels auf dem Baum
beziehen, und die weitere Bemerkung: ›Schieß von dem linken Auge
des Totenkopfes‹ ließ ebenfalls nur eine Auslegung betreffs des Versteckes
des Schatzes zu. Ich verstand die Worte so, daß aus dem linken Auge
des Schädels eine Kugel hinabgelassen oder geschossen werden sollte,
und eine ›kerzengerade Linie‹ von dem nächsten Punkt des Stammes durch
den ›Schuß‹ oder den Punkt, auf den die Kugel fiel, gezogen und bis
auf fünfzig Schritt verlängert werden müsse, um den Platz
anzuzeigen, unter dem meiner Meinung nach Gegenstände von Wert verborgen
liegen konnten.« [...]
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