Wenn es eben doch so schlimm wird

— Eine Kritik von Marlene Kriegsmann

Es gab zwei Gesichter, die bei der Premierenfeier von Kurt Maetzigs Film Ehe im Schatten im April 1948 in Hamburg für einiges Aufsehen sorgten – und es waren nicht die der Hauptdarsteller Ilse Steppat und Paul Klinger. Unter den geladenen Gästen befanden sich Veit Harlan und seine Frau Kristina Söderbaum. Veit Harlan, seines Zeichens verantwortlich für eines der am verabscheuungswürdigsten Werke der deutschen Filmgeschichte, Jud Süß, hielt es für angemessen, der Premiere eines Films beizuwohnen, der nicht nur die Geschichte eines an der Judenverfolgung zugrunde gehenden Ehepaares im Nationalsozialismus erzählt, sondern dessen Macher persönlich vom Holocaust betroffen waren – Produzent Walter Koppel, war selbst fünf Jahre in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen, Regisseur Kurt Maetzig verlor seine jüdische Mutter 1944, als sie sich aus Verzweiflung selbst das Leben nahm – und zu dessen Premiere in Hamburg viele im Nationalsozialismus Verfolgte geladen waren. Es überrascht also wenig, das Harlan und Söderbaum vom Kinobesitzer umgehend der Veranstaltung verwiesen wurde.  Weiterlesen

Zeitloses Drama oder ein Musterbeispiel an Substanzlosigkeit?
Siegfried Kracauer und DER BLAUE ENGEL

— Eine Kritik von Natalie Braun

Männer umschwirr’n mich, wie Motten um das Licht. Und wenn sie verbrennen, Ja dafür kann ich nichts. Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.

Die weibliche Hauptrolle als Varieté-Darstellerin Lola Lola, in dem Film Der Blaue Engel von Josef von Starnberg aus dem Jahr 1930, ist der Ausgangspunkt für Marlene Dietrichs Weltkarriere als Schauspielerin und Femme Fatale. Der Film handelt von dem angesehenen Gymnasialprofessor Rath, gespielt von Emil Jannings, der an seiner Liebe zu der lasziven Sängerin zugrunde geht. Der Protagonist befindet sich in einem Zwiespalt zwischen seiner konservativen Spießigkeit und dem Verlangen nach der Lebedame Lola Lola. Der Blaue Engel basiert auf der Romanvorlage des Professor Unrat von Heinrich Mann aus dem Jahr 1905, weicht allerdings auch teilweise von dieser ab.

Immanuel Rath ist zu Beginn des Filmes der Inbegriff des Spießbürgertums und als Gymnasialprofessor eine Figur der Autorität. Als er mitbekommt, dass seine Schüler ein anrüchiges Varieté frequentieren ist er empört. Er will die Sängerin Lola Lola zur Rede stellen, erliegt jedoch bereits bei der ersten Begegnung ihren Reizen. Für die Beziehung zu der Lebedame wird er in der Schule verhöhnt und aufgrund seiner raschen Verlobung vom Schuldirektor entlassen. Zunächst kann der gesellschaftliche Abstieg Raths Glück nicht trüben, nach einem kurzen Zeitsprung sieht seine Situation allerdings bereits anders aus: Frustriert und völlig entgegen seiner Einstellung verkauft er Postkarten seiner Frau an das Publikum. Nach einem weiteren Zeitsprung um 5 Jahre ist deutlich, wie sehr der arbeitslose Rath unter seinem neuen Leben leidet. Er soll in seiner Heimatstadt als Clown auftreten und sich so vor der höhnenden Masse bloß stellen. Als er auch noch mit ansehen muss, wie seine Frau mit einem anderen Mann anbandelt verliert er vollends den Verstand. Auf der Bühne erlebt er einen Zusammenbruch und kräht minutenlang wie ein Hahn. Schlussendlich stirbt der ehemalige Professor in seiner alten Schule, während er sich krampfhaft am Pult festkrallt.

Kracauers Kritik zu Der Blaue Engel ist im Juni 1930 in Die Neue Rundschau erschienen. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Rezension des Filmes, Kracauer nimmt diesen vielmehr als Anlass für eine Kulturkritik. Bereits in seiner sprachlich grandiosen Einleitung spricht er von der „Staffage“ und dem „leeren Schaugepränge“ welche seiner Meinung nach typisch sind für die damalige Öffentlichkeit. Den Film Der Blaue Engel kritisiert er als ein Musterbeispiel an Substanzlosigkeit, das symptomatisch ist für den Wunsch seiner Zeit nach Wirklichkeitsflucht. Es ist eine zuweilen reißerische Kritik zu einem Film der heute zu den Klassikern des frühen Tonfilmes zählt. Kracauer deutet auch an, dass die Presse 1930 eine konträre Position einnahm. Dabei bewertet der Kritiker den Film nicht gänzlich schlecht. Er lobt die schauspielerische Leistung und hebt die herausragende technische Machart und insbesondere den Schnitt hervor. Den Wechsel zwischen Sprechszenen und stummen Szenen bezeichnet er als „Spitzenleistung“. Weiterlesen

Russische Propaganda oder zeitloses politisches Kino?
Eine Kritik zum Film PANZERKREUZER POTEMKIN

— Eine Kritik von Larissa Sedlmeier

Dieser Film ist etwas Besonderes. Er ist anders und er trifft die Wahrheit auf den Punkt. So jedenfalls sieht Siegfried Kracauer Panzerkreuzer Potemkin, einen Film aus dem Jahre 1925 vom Regisseur Sergei Eisenstein. Der Film behandelt das russische Revolutionsjahr 1905 anhand einer fiktionalen Geschichte, auf dem Kriegsschiff namens Potemkin. Auf dem Schiff entsteht eine Meuterei der Matrosen wegen verdorbenem Fleisch, sie wehren sich gegen ihre Vorgesetzten und bildlich gesprochen gegen die gesamte Zarenherrschaft. Als einer der Matrosen dann bei den Unruhen ums Leben kommt, schwappt die revolutionäre Stimmung auf die Hafenstadt Odessa über und der Zuschauer kann in der imposanter Kulisse der Hafentreppe das Volk gegen die zaristsichen Kosaken aufbegehren sehen. Als die Potemkin schließlich den Hafen wieder verlässt, sind ihr entgegenkommende Kriegsschiffe angewiesen das Feuer zu eröffnen, die Matrosen widersetzen sich aber den Anweisungen und der Film endet mit den Worten „Brüder”.

Kracauer beschreibt das Ende des Films als Abbruch. Was die Sache aber spannend macht ist, dass er von einem Muss des Abbruchs spricht. Womöglich sieht er hier die Grenze dessen erreicht, was er zuvor als Andersartigkeit oder Wahrheit bezeichnet. Er scheint allzu fasziniert und schon fast ehrfürchtig darüber, dass Potemkin eine wahre Begebenheit behandelt. Diese Tatsache unterscheidet ihn deutlich von den zeitgenössischen Filmen aus Europa oder den USA. Es geht Kracauer um die Botschaft die vermittelt wird: Potemkin zeigt die Verbrüderung des russischen Volkes gegen die Zarenherrschaft, er zeigt wie sich Menschen zusammen gegen ‚Unrechtes’ auflehnen, er vermittelt eine Position, er macht Mut und er fordert die Zuschauer auf, die filmischen Geschehnisse auf ihre eigene Situation zu beziehen. Der Film ist politisch. Immer wieder führt Kracauer das „durchstoßen der Wand” oder das „lüften des Vorhangs” an. Er geht davon aus, dass der Zuschauer mitgenommen wird, in eine Welt, die ihm sonst verborgen bleibt – sei es im Kino durch westliche Filme oder sei es in der Realität durch zu wenig soziales oder politisches Engagement. Vielleicht ist es genau das, worauf Kracauer anspielen möchte. Das eine sind die Filme, die für ihn durchaus zur politischen Bildung beitragen sollen, das andere ist aber auch ein bestimmtes Verhalten, das er von den Menschen einfordert. Er fordert Courage, sich nicht vor Ereignissen zu verschließen oder sich durch Belanglosigkeiten und Unterhaltung ablenken zu lassen sowie aktiv zu werden und gegen Missstände einzustehen, in welcher Form auch immer. Um so ein Verhalten zu erreichen sind Filme für Kracauer ein gesellschaftliches Instrument und womöglich auch Denkanstöße und Auslöser. Ja, für ihn soll der Film auch Sprechorgan des Volkes sein. Ein Film ohne Botschaft, ohne Realität ist für ihn eine Belanglosigkeit, die gerade dazu dient zu verdrängen und zu unterhalten. Er schreibt also einem Film eine so stark ausgeprägte politische Funktion zu, die sogar Menschen dazu bewegt ihre eigene Situation zu reflektieren und mit Altbekanntem zu brechen. Weiterlesen

Die Aufgabe des zulänglichen Filmkritikers besteht nun meines Erachtens darin, jene sozialen Absichten, die sich oft sehr verborgen in den Durchschnittsfilmen geltend machen, aus ihnen herauszuanalysieren und ans Tageslicht zu ziehen, das sie nicht selten scheuen. Er wird zum Beispiel zu zeigen haben, was für ein Gesellschaftsbild die zahllosen Filme mitsetzen, in denen eine kleine Angestellte sich zu ungeahnten Höhen emporschwingt, oder irgendein großer Herr nicht nur reich ist, sondern auch voller Gemüt. Er wird ferner die Scheinwelt solcher und anderer Filme mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu konfrontieren und aufzudecken haben, inwiefern jene diese verfälscht. Kurzum, der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Seine Mission ist: die in den Durchschnittsfilmen versteckten sozialen Vorstellungen und Ideologien zu enthüllen und durch diese Enthüllungen den Einfluß der Filme selber überall dort, wo es nottut zu brechen.

Siegfried Kracauer, Über die Aufgabe des Filmkritikers, 1932