Zu viel gewollt – War Machine verfehlt sein Ziel

— Eine Kritik von Marlene Kriegsmann

Bis vor kurzem schien es, als könne Netflix nichts falsch machen. Der Streamingdienst lieferte einen Serien-, Doku- und Filmhit nach dem anderen und war mit Eigenproduktionen wie Stranger Things, Beasts Of No Nation oder The Crown, bei Kritiker*innen und Zuschauer*innen gleichermaßen beliebt. Es ist also nur logisch, dass Netflix immer mehr Content selbst produziert und vor allem in seine Filmsparte viel Geld investiert. Das schmeckt nicht jedem: Im Mai nahm mit Okja erstmals ein Netflix Original an den Filmfestspielen in Cannes teil – und wurde prompt mit Buhrufen quittiert; denn das klassische Kino sieht Netflix als immer bedrohlicher werdenden Konkurrenten und fürchtet, selbst irrelevant zu werden. Diese Angst scheint vorerst unbegründet. Auch Netflix ist nicht unfehlbar und „Netflix Original“ keineswegs ein Gütesiegel für ausgezeichnete Inhalte. Der jüngste Beweis dafür: David Michôds durchschnittliches, sehr unentschlossenes Werk War Machine. Dieses sorgte im Vorfeld seiner Veröffentlichung vor allem für Aufsehen, da die Riege der Darsteller mit Brad Pitt von einem der letzten universalen Filmstars angeführt wird und die Erwartungen dementsprechend hoch waren. 60 Millionen Dollar hat sich Netflix War Machine kosten lassen und nicht wenig davon dürfte auf Pitts Gehaltszettel verbucht sein. Immerhin: Die Performance des 53-Jährigen sticht in der mittelmäßigen Produktion positiv hervor.

Pitt spielt den Vier-Sterne-General Glen „Glenimal“ McMahon, der 2009 nach Afghanistan gerufen wird, mit keinem geringeren Auftrag, als dem Krieg der Amerikaner zu einem positiven Ausgang zu verhelfen. Die Unerfüllbarkeit und Absurdität dieser Mission wird von Beginn des Films an mehrfach unterstrichen, durch das ehrfurchtslose Voice-over eines zunächst unbekannten Sprechers. Dieser entpuppt sich schließlich als Rolling Stones Reporter Sean Cullen, der ein Profil über McMahon schreibt. Die Veröffentlichung des vernichtenden Artikels sorgt schlussendlich dafür, dass McMahon seinen Posten in Afghanistan unvollendeter Tatsachen verlassen muss. Diese Rahmenhandlung basiert lose auf Michael Hastings’ Buch The Operators: The Wild and Terrifying Inside of America’s War in Afghanistan, welches wiederum auf Hastings Rolling Stone Profil des echten Generals Stanley McChrystal aufbaut, dem Vorbild für Pitts McMahon.

Letzterer schreitet breitbeinig und breitarmig umher, die Haare streng gescheitelt, den Rücken kerzengerade, die Stimme rau, das Gesicht zu einer ewigen Grimasse verzogen – eine klischeebeladene Karikatur, die trotzdem oder gerade deshalb unterhaltsam ist. McMahon ist absolut überzeugt von der Richtigkeit des amerikanischen Einsatzes in Afghanistan. Seine Figur mag bis ins Lächerliche überzogen sein und für viele komische Momente in War Machine sorgen, doch an seiner Aufrichtigkeit, an seinen guten Absichten wird nicht gezweifelt. Was jedoch immer wieder im Fokus bissiger Kommentare des Erzählers und der Narration steht, sind die zweifelhaften Ideale, an die er glaubt und sein unbeirrbarer Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Daran, dass nur er tatsächlich eine Veränderung bewirken kann. Diese Hybris behält McMahon lange bei und gerät erst gegen Ende des Films ins Grübeln, ob der Korrektheit und des Zwecks der amerikanischen Präsenz in Ländern, die sie, so die Gegenposition, nichts angehen. „You can’t win the trust of a country by invading it“ kommentiert Cullens Voice-over und fügt zynisch hinzu: „We tried in Vietnam. That went well.“

Das große Manko von War Machine ist allerdings, dass der Film sich nicht für einen Ton entscheiden kann. Stellenweise tritt er als scharfzüngige Satire auf, die der amerikanischen Militärpolitik ein unschönes Spiegelbild vorhält. In solchen Momenten glänzt der Film. Die Konfrontation von McMahons bis dahin fast unerschütterlichem Weltbild, mit den klugen, wohl recherchierten und herausfordernden Argumenten einer Abgeordneten des deutschen Bundestags (ein kurzer aber einprägsamer Auftritt von Tilda Swinton) zählt zweifelsohne zu den Highlights des Films. Ebenso gelungen sind die unbequemen Szenen zwischen McMahon und seiner Ehefrau Jeannie (berührend: Meg Tilly), die er, wie sie ihm vorrechnet, in den vergangenen acht Jahren an nur 30 Tagen gesehen hat. Der unbeholfene Umgang der beiden miteinander berührt und verleiht dem Film eine nicht erwartete emotionale Tiefe. Auch Sir Ben Kingsleys ironische Darstellung des damaligen afghanischen Präsidenten Karzai überzeugt. Kingsleys Präsident ist sich seiner unbedeutenden Stellung vollkommen bewusst, spielt aber das „Theater“, wie er es nennt, dennoch gezwungenermaßen mit – jedoch nicht ohne mit feiner Ironie darüber zu spotten. Für traurige Momente sorgt hingegen die Sequenz der Eroberung eines Gebiets durch McMahons Truppen, welche zunächst gut zu laufen scheint, doch furchtbar tragisch endet und die verheerenden Konsequenz der „Counterinsurgence“ der Amerikaner deutlich macht. All diese Szenen sind für sich genommen durchaus gelungen; zusammengeschnitten zu einem zweistündigen Film wirken sie jedoch kontextlos und nicht aufeinander abgestimmt. War Machine ist eben keine beißende Satire, keine kritisch gefärbte Komödie à la Good Morning Vietnam, kein erschütterndes Kriegsdrama und auch kein Portrait einer gescheiterten Ehe. War Machine schafft es nicht, eine Verbindung zwischen diesen einzelnen Momenten zu kreieren. So bleibt ein Film, der sehr viel mehr hätte sein können, wenn er sich auf einen Aspekt fokussiert hätte.

Worauf Regisseur Michôd wohl abzielt, ist, zu zeigen, dass die titelgebende War Machine nicht Glen McMahon ist, sondern dieser vielmehr symbolisch für die überholte, paternalistische Militärpolitik der Amerikaner steht. Diese Botschaft kann man erkennen; man sollte es jedoch niemandem verübeln, der sie in den verschiedenen Richtungen des Films nicht findet.

Netflix veröffentlich keine Zahlen über den Erfolg seiner Eigenproduktionen und dass Zuschauerratings kein verlässliches Qualitätsurteil liefern, hat spätestens der Downvote-Skandal um Dear White People gezeigt. Doch das War Machine hinter Netflix’ Erwartungen zurückbleibt, wird schon daran deutlich, dass die Besprechungen des Films sowohl unter Kritiker*innen als auch Zuschauer*innen relativ leise ausfielen und schnell versiegten, wie dies bei durchschnittlichen Filmen auch im klassischen Kino der Fall ist. Der relative Misserfolg von War Machine sollte vielleicht nicht zu viel Stellenwert beigemessen werden. Er ist jedoch immerhin ein Anzeichen dafür, dass auch Netflix nicht immer alles richtig macht und keine fehlerfreie Maschinerie für garantierte Erfolge ist. Die empörten Festivalbesucher*innen in Cannes können sich also entspannt in ihren Sitzen zurücklehnen. Vielleicht beurteilen sie im nächsten Jahr einen Netflix Film dann nach dessen tatsächlichem Inhalt und nicht nach dem Siegel „Netflix Original“.