Split – Ein Mann mit vielen Gesichtern
— Eine Kritik von Jenny Loth —
Die Antwort auf eine Frage, die wir uns, 17 Jahre lang, nicht gestellt haben. M. Night Shyamalan setzt mit Split ein fettes Ausrufezeihen hinter sein Comeback.
Goethes Faust beschäftige sich schon mit der menschlichen Existenz und sagte: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, in Kevin Wendell Crumbs Fall sind es wohl eher 23. Kevin Wendell Crumb ist der psychisch gestörte Protagonist in Split. Er hat 23 nachgewiesene Persönlichkeiten. Personen wie der schwule Modedesigner Barry und der naive neun-jährige Hedwig wohnen in ihm. Der eigentliche Kevin Crumb hat schon lange nicht mehr die Führung seines Körpers übernommen. Dafür ist seine Persönlichkeit Dennis, ein neurotischer Verbrecher mit guter Intention, an der Macht. Er entführt drei junge Mädchen und bereitet sie auf die Ankunft der 24. Persönlichkeit vor: dem Biest. Es will die unwürdige Jugend als Abendessen genießen. Was Dennis jedoch nicht weiß, ist, dass eins der Mädchen nicht die geeignete Zutat ist für das Festessen ist.
Es scheint, als könnte, der zweifache Goldene Himbeere-Gewinner als schlechtester Filmregisseur, Shyamalan mit diesem einfachen Handlungsstrang nicht überzeugen. Jedoch schafft er es mit Split an seine großen Kinoerfolge The Sixth Sense und Unbreakable anzuschließen. Mit einem Budget von nur neun Millionen Dollar und einer Einspielsumme von 277 Millionen Dollar, sprechen die Zahlen für sich.
Wodurch aber lässt sich dieser Erfolg begründen? Die Antwort liegt in der Inszenierung des Horrorthrillers. Wobei selbst die Kategorisierung als Horrorthriller nicht ganz treffend ist. Shyamalan widersetzt sich jeder Genrekonvention. Split enthält sowohl Motive des Thriller- und Horrorgenres als auch des Fantasygenres. In seiner Freiheit der Inszenierung, schafft er echte Gruselszenen ohne große Spezialeffekte und die typische Destabilisierung eines Horrorfilms. Er verzichtet darauf seinem Anti-Helden eine blutige Axt in die Hand zu legen, lieber arbeitet er mit Licht, Schatten und Geräuschen, um den Publikum das Fürchten zu lehren. Das unglaubliche Schauspielrepertoire James McAvoys als Kevin Crumb und seinen 22 Alter Egos gibt uns dann den Rest. Der, vor allem als Professor X bekannte, Schauspieler schafft es, mit nur wenigen Requisiten, jede Persönlichkeit überzeugend darzustellen. Besonders die 24.: Ein Tiger-ähnliches Wesen im Körper eines Menschen mit dem Antrieb, die behüteten Mädchen zu fressen. Denn nur durch Schmerz kann der Mensch wachsen. Kannibalismus als Mittel um die Welt denen zu ebnen, die das Potential besitzen über sich hinaus zu wachen.
James McAvoy gegenüber steht Anya Taylor-Joy. Sie spielt die junge Außenseiterin Casey Cock und gibt dem Film eine Backstory, da sie nur durch einen schlechten Zufall in die Entführung gezogen wurde. Sie wird zum Mädchen, das sich einen finalen, stereotypischen Kampf mit dem Biest liefert. Auch ihre schauspielerische Leistung ist bemerkenswert und überzeugend, kann jedoch, ihre Vielfältigkeit betreffend, noch nicht mit ihrem Gegenspieler mithalten.
Eine Besonderheit des Films ist, dass er nicht nur selbst neue Horrorinszenierungen kreiert, sondern auch wie eine Hommage an die großen Horrorerfolge unserer Zeit wirkt. In der Schlüsselszene des Films tritt Kevins Therapeutin auf. In der totalen Frontaufnahme, wirft sie die Fragen auf, ob Personen wie Kevin, durch das Leid, das sie erlebt haben, das eigentliche Potential des Gehirns erschlossen haben. Ob sie nun Zugang zu all dem Wissen haben, was die anderen noch nicht kennen und ob von daher auch der Sinn für das Übernatürliche rührt. Die Szene ist nicht nur der Schlüssel zum Verständnis des Films, sondern erinnert das Publikum auch an den 90er-Horrorhit Flatliners. Nicht nur auf Flatliners scheint angespielt zu werden, auch „The Shining“ wird aufgegriffen. Während dort Jack Nicolson mit verrücktem Blick durch die zerstörte Tür grinst, ist es hier James McAvoy, der mit blutverschmiertem Gesicht durch die Gitterstäbe des alten Tierkäfigs brechen will. Die Referenz ist nicht zu verleugnen.
Und was natürlich auch in diesem Shyamalan-Film nicht fehlen darf, ist der Hitchcock-typische Cameoauftritt, den er stilecht in jedem seiner Filme hinlegt. Es scheint, als wolle Shyamalan mit Split auf das Erbe verweisen, welches er antritt und ausbauen will.
Das unglaubliche Mic Dropping hebt sich M. Night Shyamalan jedoch bis zum Schluss auf. Er lässt seinen Helden David Dunn aus Unbreakable in einem Diner auftreten, in dem gerade die Nachrichten über Kevin Wendell Crumb laufen. Mit diesem Kurzauftritt von Bruce Willis stellt sich heraus, dass „Split“ ein standalone Sequel zu dem, vor 17 Jahren produzierten, Film Unbreakable ist. Ein Ende, das den Zuschauer vollkommen perplex zurücklässt.
Alles in Allem ist Split eine gelungene Leistung Shyamalans, mit der er sich als Filmregisseur wieder nach vorne katapultiert. Er bringt frischen Wind in die stickigen Kinosäle, mit seinem Stoff, der weder Remake noch Buchverfilmung ist.