Teenager Lovestory vs. Hacker Superheld: iBoy, der Junge mit dem Smartphone im Kopf
— Eine Kritik von Larissa Sedlmeier —
Ein Jugendlicher Superheld auf der Suche nach Gerechtigkeit und der großen Liebe in einer Welt voller Gangs und sozialen Problemen. iBoy vereint Teile des klassischen Teenie Dramas mit einer futuristischen Heldengeschichte – mal mehr und mal weniger gut umgesetzt.
Der Science-Fiction-Film iBoy ist eine britische Eigenproduktion des Streaming Anbieters Netflix unter der Regie von Adam Randall. Es geht um den 16-jährigen Schüler Tom, der „im Schatten der Hochhäuser”, in einem sozialen Brennpunkt Londons wohnt. Tom ist in seine Mitschülerin Lucy verliebt. Als diese eines Tages von einer Gang überfallen und vergewaltigt wird, kommt Tom sie im falschen Moment besuchen und gerät in eine Schießerei. Dabei wird er am Kopf verletzt, Teile seines Smartphones gelangen in sein Gehirn und können von den Ärzten nicht mehr entfernt werden. Dieses „Problem” verleiht Tom besondere Fähigkeiten: er kann die Datenströme unterschiedlichster technischer Geräte in seiner Umgebung lesen, sich in Systeme und einzelne Geräte einhacken sowie allein mit Kraft seiner Gedanken Dinge steuern und auch deren Wirkung direkt auf Menschen richten. Mit diesen Fähigkeiten versucht er zu rächen, was Lucy geschehen ist und legt sich mit der Gang seines Viertels an. Nach einem dramatischen Kampf am Ende und Toms Sieg über den Anführer gibt es endlich eine Annäherung von Tom und Lucy.
Ein wenig erinnert dieser Film und vor allem die Geschichte um Toms Superkräfte an den klassischen Superheldenfilm. Tom kommt aus schlechten Verhältnissen, seine Mutter starb als er ein Kleinkind war an ihrer Drogensucht und er lebt seither bei seiner Großmutter in einem heruntergekommenen Teil Londons. Insgesamt herrscht den ganzen Film über durch die Farbgebung eine extrem düstere Stimmung. Tom, der eigentlich eher ein Außenseiter ist, lernt erstaunlich schnell seine Kräfte extrem gezielt zu benutzen und erlangt auch unter dem Pseudonym iBoy Aufmerksamkeit sowie Anerkennung. Seine Taten passen zum Teil gut in das Konzept eines futuristischen Trillers, wenn er sich beispielsweise in Bankaccounts einhackt oder Nachrichten auf fremden Handys liest. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch immer wieder Szenen, die an einen schlechten Horrorfilm erinnern: ein Radio das sprechen kann und vier Jugendliche in einem sie einschließenden Auto wirken doch sehr trashig. Man erkennt deutlich die Zielgruppe der jüngeren Zuschauer, wenn man allzu viel Hoffnung in die Dialoge steckt. Gerade die Beziehung zwischen Tom und Denny, seinem angeblich besten Freund, ist für den aufmerksamen Zuschauer ziemlich durchschaubar und es ist keine Überraschung, dass auch Letzterer zur Gang gehört und Tom am Ende sogar an den Anführer verrät. Aber auch die Szenen zwischen Tom und seiner Oma erinnern stark an ein seichtes Teenie Drama der Extraklasse. Die typischen Probleme treten auf, es fehlt an Kommunikation und es herrscht beiderseitiges Unverständnis für das Verhalten des jeweils anderen.
Ob der Film wirklich den Zusatz der Superkräfte benötigt wage ich zu bezweifeln. Zumeist wirkt es wie Aufmerksamkeit erhaschendes Beiwerk, dass iBoy den Teenie Beigeschmack nehmen soll. Im Prinzip ist Toms Kampf um seine Liebe und gegen das „Böse” zentral. Seine Hackerfähigkeiten sind durchaus spannend und auch gesellschaftlich aktuell, aber auch dafür braucht es keine Superkräfte. Wobei es natürlich fraglich ist, wozu überhaupt Superkräfte benötigt werden und das unterliegt sicher auch immer subjektivem Werteempfinden. Möglicherweise hat iBoy das Problem, zu viel zu wollen. Es wirkt, als wolle der Film ein Drama von Jugendlichen in schlechten Verhältnissen erzählen und damit Gesellschaftskritik üben. Gleichzeitig will er sich aber auch an große Science-Fiction Filme annähern, um besonders eindrucksvoll auf den Zuschauer zu wirken. Zwei Genres, die unterschiedlicher nicht sein könnten, in einem Film, mit fehlendem Verbindungsstück, lassen iBoy etwas unausgereift wirken. Der eigentliche dramatische Höhepunkt des Films – die Auseinandersetzung zwischen Tom und dem Anführer der Gang – ist der inhaltliche Tiefpunkt von iBoy. Während Tom zuvor hacken und Datenlesen konnte, so kann er plötzlich mittels seiner Kräfte und imposant in der Nachbearbeitung eingefügten Blitzen seinen Gegner zu Boden bringen. Man fragt sich an diesem Punkt als Zuschauer, ob den Produzenten des Films vielleicht bewusst wurde, dass das Übernatürliche bis dato etwas in den Hintergrund gerückt war. Möglicherweise sollte sich mit dieser Szene das Blatt noch einmal wenden, um die Genrebezeichnung des Science-Fiction-Films zu bekräftigen.
Deutlich herauszustellen ist die schauspielerische Leistung von Maisie Williams, die im Film die Rolle der Lucy spielt. Die junge Britin spielte schon einige große Rollen, seit 2011 auch in der HBO Erfolgsserie Game of Thrones. Sie verkörpert ausgesprochen gut eine Jugendliche, die damit kämpft das Erlebte zu verarbeiten, sich allein fühlt und die sich nach einer Vergewaltigung fürchtet nur das Haus zu verlassen. Williams spielt so erstaunlich echt, dass der Zuschauer sich ab dem ersten Moment in ihre Situation hineinversetzen kann. Eine Rolle, die inmitten der zum Teil inszeniert wirkenden Umgebung besonders heraussticht.
iBoy versucht auch gesellschaftskritisch interessante Ansätze zu zeigen, die zum Nachdenken anregen sollen. Es wird das allseits bekannte Thema der Smartphones, die unsere alltägliche Welt beherrschen eröffnet. Womöglich als Warnung an Jugendliche gedacht, Daten nicht vorschnell herauszugeben und dem Internet nicht alles anzuvertrauen, wirkt die Einbettung in den Filmkontext doch sehr plump. Eine Verbindung von Mensch und Computer in naher Zukunft ist sicherlich realistisch. Dennoch wirkt die Story im Film pauschalisierend und wenig ausgereift, sodass sie kaum als ernstzunehmende Gesellschafts- oder Entwicklungskritik wahrgenommen werden kann.
Insgesamt erinnert das Grundkonzept des Films doch sehr an eine Mischung aus einem klassischen Superheldenfilm und der Erfolgsserie Mr. Robot. Zwei völlig unterschiedliche Genres und damit einhergehend auch Thematiken, die versucht werden hier in einem Film zu vereinen. iBoy ist vielleicht für Teenager ganz nett anzusehen, wenn auch durchaus düster und brutal, trägt aber wenig Raffinesse und schauspielerisches Geschick sowie Individualität in sich. Letztendlich bleibt iBoy ein unausgereiftes soziales Drama für Teenager mit einem, ein wenig verloren wirkenden Superhelden, in den Ghettos von London.