Kunst, die Eindruck macht – im Zentrum von kulturellem Austausch

— Eine Kritik von Lisa Sedlmeier

Ich bin gar kein Künstler. Es sei denn unter der Voraussetzung, dass wir uns alle als Künstler verstehen, dann bin ich wieder dabei. Sonst nicht.

Ein Zitat von Joseph Beuys, das wohl am besten seine Person, seine Wahrnehmung von Kunst und auch die Meinungen des Publikums nach der Vorführung von Andres Veiels Film über den Künstler widerspiegelt. Die Intitiative „Kino ist Programm“, zeigte am Nachmittag des 17. Juni den Film Beuys von Andres Veiel inklusive einer Filmbesprechung. Angeleitet wurde diese durch Expertinnen zu Joseph Beuys im Iwalewahaus, einem Zentrum für zeitgenössische Kunst und die Kulturen Afrikas. Das Iwalewahaus, zentral in Bayreuth gelegen, ist ein Altbau mit Kuppeldach und wirkt von außen imposant und einladend. Der Vorführungsraum selbst bricht mit den Erwartungen auf einen Raum mit dem typischen Altbaucharme. Dafür punktet er mit klaren Linien, moderner, schlichter Gestaltung und sehr viel Helligkeit – wobei der letzte Punkt in Anbetracht dessen, dass es bei der Filmvorführung dunkel ist, sicher vernachlässigt werden kann. Insgesamt herrscht eine angenehme Atmosphäre, geprägt von internationaler Kunst und einem sehr gemischten Publikum. Es wirkt weltoffen, tolerant und ein wenig alternativ. Vielleicht die perfekte Umgebung für die Vorführung von einem Film wie Beuys. Nach einer kurzen Ansprache der Leiterin des Iwalewahauses startet der Film und man kann eine gewisse Spannung im Publikum wahrnehmen.

Der Film als Kunst oder die Kunst im Film?

Veiels Film stellt sich als Mischung einer Biografie, eines Portraits und einer Dokumentation heraus. Dabei bedient er sich der unterschiedlichsten stilistischen Elemente. So lässt er beispielsweise den Film als Material selbst – in Form eines Filmstreifens – im Film auftauchen und gibt den Zuschauern so das Gefühl des linearen „Abtastens“ von Beuys Leben. Beuys ist eine eindrucksvolle Mischung aus Bewegtbildern, Fotografien und Ton, die selbst Zuschauern, die zuvor keinerlei Berührungspunkte mit Joseph Beuys hatten, mit seiner Lebensweise und seiner Art zu wirken vertraut macht. Die Interviews, mit zum Teil äußerst skurrilen Aussagen von Beuys selbst, zeigen die Vielfalt seiner Person, die sich auch in seiner Kunst wiederspiegelt. Man muss Veiel zusprechen, dass er es schafft eine unglaublich schwer zu fassende Persönlichkeit wie Joseph Beuys innerhalb von 90 Minuten darzustellen. Dennoch stand nach der Vorführung des Films auch die einseitige Beleuchtung der Person Beuys in der Kritik. Dass gerade seine Gesinnung im Dritten Reich von Veiel nicht herausgearbeitet wurde, obwohl er durchaus Beuys und seine Erlebnisse während des zweiten Weltkrieges zeigt, stößt auf Missfallen.

Insgesamt fiel auf, dass das Publikum mehr Geschichte zu Beuys als Person erwartet hätte. Nicht nur die Charakterisierung dieser und Herausarbeitung von einzelnen Facetten seiner Person durch Zitate oder spezifisch ausgewählte Bildfolgen. Fraglich ist, ob es Veiel wirklich darum ging eine Geschichte von Beuys im Sinne einer Biografie zu erzählen oder ob es nicht womöglich deutlich spannender ist einen Künstler durch seine Kunst dem Publikum nahe zu bringen. Selbstverständlich haben historische Entwicklungen Beuys auch zu dem gemacht, der er war und seine Kunst vorangetrieben und dennoch geht es Veiel wohl darum (eine) Geschichte durch Kunst zu erzählen und nicht Kunst durch Geschichte. Nichtsdestotrotz kann die kritische Betrachtung des Films in der Besprechung als äußerst bereichernd angesehen werden: Neue Perspektive werden aufgeworfen und erst so entstand eine Reflexion der Mittel, die von Seiten Veiels für seinen Film eingesetzt wurden.

»Jede Situation ist Kunst«

Coyote, 7000 Eichen, 24 Stunden – um nur wenige bekannte Aktionen von Joseph Beuys zu nennen. Wenn man so will war seine Kunst der Alltag. Als Mitglied der Fluxus Bewegung Mitte der 60er Jahre widersetzte er sich der „klassischen“ Kunst, um sein Publikum zum Nachdenken anzuregen. Wirklich bewundernswert ist, dass selbst heute, knapp 30 Jahre nach seinem Tod, seine Werke eingebettet in einen Film noch nachdenklich machen. Für die Darstellung seiner Happenings eignet sich natürlich das filmische Mittel optimal, denn dargestellt wird nichts statisches, sondern eine Aktion. Wie aber verträgt es sich damit, dass häufig auch Fotos innerhalb des Films verwendet werden? Und kann man Beuys dann überhaupt als Film bezeichnen? Womöglich ist die hohe Zahl an statischen Momentaufnahmen der Grund dafür, dass auch immer wieder Unverständnis für Beuys im Publikum aufkommt. Auf Skepsis stößt besonders sein Ziel und die Finanzierung seines Lebens.

„Luftikus“ und „Träumer“ sind Worte, die in diesem Zusammenhang fallen und man kann sich diesen Behauptungen nicht gänzlich entziehen. Joseph Beuys und seine Kunst entsprechen definitiv nicht der Norm und je nach dem mit welchen Erwartungshaltungen die Zuschauer zu dieser Vorführung kamen, konnten diese von ihm nicht erfüllt werden. Aber ist es wirklich die Aufgabe eines Künstlers Erwartungshaltungen eines Publikums zu erfüllen? Oder ist es gerade Kunst, dies nicht zu tun? Beuys politisches Engagement sticht stark heraus und trifft auf scharfe Kritik im Publikum: ein engagierter Grüner, der im nächsten Moment Pelzmantel trägt und Champagner trinkt. Hier ist fraglich, ob Beuys das erfüllen kann, was er von sich selbst und der Gesellschaft erwartet und bietet somit Diskussionsstoff in den Publikumsreihen. Unverständnis für sein Verhalten beschreibt die auftretenden Meinungen wohl am besten, selbst bei Zuschauern, die Beuys persönlich kannten sind seine Aussagen und Taten nicht immer miteinander in Einklang zu bringen. Schnell lässt sich erkennen, dass er und auch sein Film dazu fähig ist, die Gemüter zu spalten. Im Laufe der Nachbesprechung des Films ist eine Aufheizung der Stimmung zu spüren. Beuys polarisiert.

Provokation als Schlüssel zur Kommunikation

Aber warum ist Beuys so interessant für das Publikum? Wie passt Beuys und seine Aussage in den Kontext der Umgebung des Iwalewahauses als Kulturzentrum? Auch von Seiten der Expertinnen ist in den letzten Jahren wieder ein vermehrtes Interesse an Beuys als Künstler und als Person wahrzunehmen. Womöglich spiegeln sich hier die politischen Umbrüche und Veränderungen in den Strukturen unserer heutigen Gesellschaft wider. Beuys Kunst ist aus Politik heraus entstanden, er wollte etwas anderes machen, etwas Neues, different von der Kunst die es vor dem Krieg gab. Querdenken – das könnte man als seine Botschaft bezeichnen. Quer, über die Kulturen hinweg zu denken, das ist auch das Ziel des Iwalewahauses und man kann diese Einstellung förmlich spüren. Nicht nur in dem Raum selbst, der neben dem Film auch Bilder eines afrikanischen Künstlers zeigt, der ehemals einer von Joseph Beuys Schülern war, sondern auch unter den anwesenden Personen.

Veiels Film provoziert gesellschaftskritische Gedanken bei den Zuschauenden und Mitdiskutierenden. Wir entwickeln uns hin zu einer Gesellschaft dominiert von Medien, Schlagzeilen und ständiger Erreichbarkeit. Die Informationsflut scheint uns zu ertränken, in (un-)nützem Wissen. Dabei gerät gerade die Reflexion dieser Informationen völlig in den Hintergrund, denn zu oft passiert zu schnell etwas Neues (womöglich noch „spannenderes”), als dass man Zeit hätte sich kritische Gedanken um das Geschehene zu machen. Gleichzeitig aber haschen wir den Trends hinterher und versuchen einen coolen Lifestyle zu führen. Im Gegensatz dazu steht Nachhaltigkeit als großes Schlagwort unserer Zeit. Und hier kommt Beuys Kunst wieder ins Spiel: Kunst als Alternative zum Konsum. Gerade Beuys immaterielle Kunst durch Aktionen und Happenings passen in das Denken der heutigen Zeit: Provokant und direkt. Schockierend und zugleich befreiend. Befreiend von festgefahrenen Denkmustern, entwickelte sich eine produktive Diskussion auf akademischen Niveau.

An diesem Punkt ist dennoch zu hinterfragen, ob es nur mit filmischen Mitteln möglich ist diese Botschaft zu vermitteln und zum reflektierten Nachdenken anzuregen. Wie auch von der Leiterin des Kunstmuseums Bayreuth ausgeführt verlangt es einiges an Organisationstalent und Einfallsreichtum, um Beuys in einer Ausstellung gekonnt zu inszenieren.

Kunst, die lebt und zum Leben erweckt.

Der Abend war spannend und abwechslungsreich, er hat entgegen vielen klassischen Kinobesuchen eher belebt und aufgeweckt. Neue Perspektiven wurden eröffnet und womöglich auch eine Art kulturelle Konfrontation innerhalb Bayreuths. Ein einmalig buntes Publikum, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und mit völlig verschiedenen Wissenshintergründen ermöglichte einen gänzlich neuen Blick auf Beuys und die Thematik der Kunst im Kontext heutiger Gesellschaften. Im Umfeld eines internationalen Kulturzentrums ergab sich eine Atmosphäre von kulturellem, produktiven Austausch mit wirklich bereichernden Denkanstößen. Was zunächst nach einer mittelinteressanten Filmvorführung mit nachgehender, vielleicht eher trockener, Besprechung klang wurde schnell zu einem spannenden Diskurs über Kunst und Gesellschaft. Besonders die Zeitlosigkeit von Kunst wird in diesem Kontext deutlich: Denn Beuys und sein Wirken entwickelte sich zum Großteil aus den Geschehnissen des zweiten Weltkriegs und hat doch seine Wirkung bis heute nicht verloren. Wichtig ist in jedem Fall der reflektierte Austausch über Filme wie Veiels Beuys. Denn was bringt es, sich eine achronologische Biografie eines bekannten deutschen Künstlers anzusehen, wenn daraus keine Erkenntnisse für unser heutiges Handeln und Denken gezogen werden können? Dazu eignet sich ein Begegnungszentrum als Lokation ganz hervorragend: Man begegnet neuen Gedanken, neuen Menschen und neuen Möglichkeiten, angeleitet von einem Team aus Experten kann ein Film so nicht nur gesehen, sondern gelebt werden.