Die Geschichte des Manns mit Hut präsentiert sich Oberfranken

Beuys mit Filmgespräch im Iwalewahaus Bayreuth, 17. Juni 2017

— Eine Kritik von Jenny Loth

Auf gewöhnlichen Polsterstühlen wurde das ungewöhnliche Schaffen eines der außergewöhnlichsten deutschen Aktionskünstler geschaut.

Noch schnell eine, für Kinoverhältnisse ungewöhnlich, bezahlbare Flasche Wasser an der hauseigenen Bar kaufen und schon kann das Abendprogramm beginnen. Im Iwalewahaus in Bayreuth wird der Film Beuys gezeigt. Er feierte seine Weltpremiere dieses Jahr bei den 67. Internationalen Filmfestspielen in Berlin und wurde dann auch ab Mai dem breiten Publikum in ausgewählten deutschen Kinos gezeigt. Auch der Verein Kino ist Programm e.V. war der Ansicht, dass der Streifen es bis in den Bayreuther Kinosaal schaffen soll, deshalb wurde er in das Programm aufgenommen. Ein Wagnis, dessen Ausgang ein fast komplett gefülltes Foyer war. Sie, liebe Leser, fragen sich wahrscheinlich nun, worin das Risiko liegt, einen Programmkinofilm in die eigene Programmkinokultur aufzunehmen. Die Gefahr des Scheiterns bestand jedoch nicht darin, sondern war es ungewiss, ob die Beuys-Interessenten in Bayreuth einen ganzen Saal füllen könnten. Glücklicherweise aber hatten sich viele Kunstfreunde, Beuys-Liebhaber oder einfach Neugierige angefunden. Angeboten wurde nicht nur der Streifen selbst, sondern auch ein zusätzliches Filmgespräch mit Dr. Marina von Assel, der Leiterin des Kunstmuseums Bayreuth, und Dr. Nadine Siegert, der stellvertretenden Leiterin des Iwalewahaus.

Seit der Geburtsstunde des Vereins Kino ist Programm e.V. ist das Iwalewahaus sein Wohnsitz. Der, 2014 gegründete, Verband richtet hier monatlich einen Kinoprogrammwochenende aus, mit dem längerfristigen Ziel ein Programmkino zu etablieren. Mit der Darbietung Beuys konnte dieses Mal auch ein interessanter Bezug zwischen Film und Aufführungsort hergestellt werden. Anlässlich der Kinovorstellung entstand parallel eine Pop-up-Ausstellung des Beuys-Schülers EL Loko. Der westafrikanische Künstler kann einerseits im Kontext des Films Beuys betrachtet werden, andererseits als Ausstellungsfigur des Iwalewahaus selbst, da Letzteres ein Zentrum außereuropäischer, speziell afrikanischer, Kunst ist.

Insbesondere jene Pop-up-Ausstellung verlieh der Aufführung ein besonderes Flair. Der Kinosaal des Iwalewahaus kann eigentlich weniger als ein solcher bezeichnet werden. Mit ungemütlichen Polterstühlen und der erwähnten Ausstellung glich er mehr einem Vortragsraum; nicht gerade die Idealvorstellung eines Kinos. Jedoch war ebenjenes der Auslöser für eine besondere Atmosphäre, man hat sich in einer familiären und willkommenen Umgebung wiedergefunden, ohne die anderen Besucher überhaupt zu kennen. Eine überschaubare Menge der verschiedensten Altersklassen hatte sich angefunden, um sich auf das Filmerlebnis Beuys, in eine auserlesene Szenerie gesetzt, einzulassen.

Nach einem kurzen Begrüßungswort der stellvertretenden Leiterin des Iwalewahauses, lief Beuys von Regisseur Andres Veiel dann auch an. Dabei führte er den Zuschauer nicht langsam in das Leben und Wirken Beuys ein, sondern begann auf dem Höhepunkt Beuys Schaffen. Eine kurze Inhaltsangabe für Beuys zu formulieren ist einfach schwierig. Der Film erzählt nicht immer chronologisch und besteht zu neunzig Prozent aus Originalmaterial. Es ist eine detailreiche und genaue Collage des Lebens, insbesondere, des Werks Joseph Beuys. Was eine Zusammenfassung derart erschwert ist, dass nicht der Künstler als Mensch im Vordergrund steht, sondern seine Taten und Gedanken. Es gibt kaum Anekdoten über Beuys durch Interviews und schon gar keinen Erzähler, der den Zuschauer durch das Schaffen Beuys führt oder einen roten Faden aufzeigt. Joseph Beuys ist aus dem Grab heraus sein eigener Erzähler.

Das einzige Motiv, dass versucht den Rezipienten etwas zu entwirren, ist der zwischenzeitliche Einsatz von Kontaktbögen mit Lochstreifen. Sie stellen kurze Wrap-ups dar, die die Kernaussagen Beuys wiederholen, untermalen und auf ein neues Kapitel des Schaffens vorbereiten. Inwiefern dies dem Zuschauer wirklich hilft, kann jeder nur für sich selbst entscheiden.

Auch Filmmusik suchen wir in dieser Collage eher vergebens, dadurch wird der Fokus jedoch auf die Szenen gesetzt, in denen tatsächlich untergelegte Hintergrundmusik zu finden ist. Solche Momente sind vor allem zu finden, wenn es sich um die Collage von Fotografien oder Videomaterial ohne Ton handelt. Dann sollen durch Musik die Gefühle ausgedrückt werden, die ein Erzähler erklärt hätte.
Ein anderes auditives Feature, mit dem Regisseur Andres Veiel spielt, ist das eines klingelnden Telefons. Der störende Ton durchzieht den gesamten Film und nur selten macht sich Joseph Beuys die Mühe den Anruf entgegen zu nehmen. Was Veiel damit bezwecken will, konnte ich mir persönlich nicht gänzlich erklären, dennoch denke ich, dass besonders jene Art darüber nachzudenken bereits ein Ziel des Regisseurs war.

Das Ende des Films ist derart abrupt wie der Anfang. Beuys wird mit Absicht als zeitlose Figur dargestellt, da sein Wirken und sein Einfluss nicht mit dem Tod enden, sondern noch viel länger in den Köpfen der Menschen stecken wird. Natürlich ist jedem Zuschauer bewusst, dass Beuys, wie jeder andere Mensch, geboren und gestorben ist, jedoch stellt die Aussprache dessen keinerlei Bedeutung für das dar, was der Film darstellen will: Beuys ist zu einer unvergänglichen Figur der Kunst geworden.

Der Film schafft es den Ton, den Beuys mit seinen Werken kreiert, aufzugreifen. Es ist ein Werk, das in seiner Unordnung von Beuys selbst stammen könnte. Der Rezipient wird mit mindestens genauso vielen, wenn nicht sogar mehr, Fragen zurückgelassen als er auch beantwortet bekommt. Der Film ist ein Kunstwerk selbst und folgt Joseph Beuys Aussage „Gedanken wirken in der Welt“. Nach dem Ende des Films sind es die persönlichen Eindrücke und Gedanken, die sich verselbstständigen und das Werk für den Einzelnen erklärbar machen, denn genau dies fehlt dem Film, er erklärt nicht, er zeigt nur. Der Film spricht in Rätseln, genauso wie es auch Beuys tat und verfolgt auch den gleichen Anspruch: Er will das Bewusstsein der Menschen erweitern und verändern. Getreu dem Beuys‘schen Motto: „Was soll Kunst, wenn nichts dabei herauskommt?“, entsprechend, steht auch das persönliche Ergebnis des Filmerlebnisses, die Wirkung auf den Einzelnen, im Vordergrund. Was diese unkonventionelle Biografie erreicht, ist das Höchste was eine Hommage an Joseph Beuys erreichen kann.

Mit dem Ende des Films löste sich auch die Gruppe der Zuschauer etwas auf und einige verließen das Iwalewahaus, da sie nicht am anschließenden Filmgespräch teilnehmen wollten. Zurück blieb ein Publikum, welches, sowohl an Alter als auch an Meinungen zu Film und Joseph Beuys selbst, gemischt war. Von Jung bis Alt, Beuys-Interessent und Skeptiker war alles vertreten. Kurzerhand eröffneten dann auch die Doktorinnen Nadine Siegert und Marina von Assel die Moderation und Führung der Diskussion. Zu jenen beiden Persönlichkeiten ist zu sagen, dass Frau Dr. Nadine Siegert die stellvertretende Leiterin des Iwalewahaus ist. Sie betreibt derzeit Forschung zur sozialistischen Ästhetik in Afrika und ist auch die Kuratorin, der, im Voraus erwähnten, EL Loko Pop-up-Ausstellung. Im Filmgespräch übernahm sie vor allem die Rolle der Moderatorin, während die inhaltliche Erklärung und Leitung durch Frau Dr. Marina von Assel übernommen wurde. Letztere ist die Leiterin des Kunstmuseums in Bayreuth und richtete ihre erste Ausstellung zu Joseph Beuys, mit dem Titel Wenn jemand meine Sache sieht, dann trete ich in Erscheinung, 1993 aus. Derart stellen Frau Dr. Siegert und von Assel ein fachlich geschultes Duo dar, dass, bereits durch Qualifikation, Ausblick auf ein vielversprechendes Gespräch gab.

Kaum war die Diskussion eröffnet wurden auch schon die ersten Fragen geäußert. Dabei betrafen jene einerseits das Verständnis des Films, andererseits auch den Hintergrund dessen. Allgemein gesprochen lassen sich die Fragen in drei Kategorien einteilen: Fragen zur Form des Films, zum Hintergrund und Reflexionsfragen. Letztere entstanden durch das Wirken des Streifens auf den Einzelnen. Während die Frage zur Form Beuys lediglich eine nach dem Genre dessen war, stellten sich Hintergrund- und Reflexionsfragen in Fülle. Dies liegt daran, dass, wie bereits erwähnt, der Film Zeit und Orte verschwinden lässt, dadurch wird das Verständnis des Films erschwert, in Abhängigkeit davon, mit welchem Vorwissen der Zuschauer den Film sieht. Je nachdem wie wenig dem Rezipienten über Joseph Beuys bekannt ist, desto mehr Fragen wirft die biografische Collage über seinen Protagonisten auf. Derart stellt das Publikum beispielsweise Fragen, wie Beuys seine Aktionen finanzierte, inwiefern seine Sozialisation im Nationalsozialismus seine Kunst beeinflusste und auch in wie weit seine Ideologie rechts ist. Insbesondere Frau Dr. Marina von Assel konnte solche Fragen mit Bravur beantworten und zeigte dem Publikum, dass sie nicht ohne Grund zum Fachpersonal des Abends gehörte.

Als die gröbsten Unklarheiten des Films offenbar geklärt oder angesprochen wurden, nahm das Gespräch eine interessante Wendung. Die Fragen wurden an dieser Stelle tiefgreifender und schwieriger zu beantworten, da sie in Auseinandersetzung mit dem Denken über Beuys entstanden. Es wurden Rückschlüsse und Fragen zur Aktualität Beuys gezogen. Weshalb Beuys wieder aktuell sei, fragte ein Gesprächsteilnehmer, und wie politisch Kunst sein kann, ein anderer. Beide Experten gaben ihr Bestes bei der Beantwortung jener Fragen, jedoch sind derartige Fragen auch große Diskussionsthemen, die nicht mit ein paar kurzen Sätzen beantwortet werden können. Die Doktorinnen haben an ebendieser Stelle lediglich einen Ausblick auf ihre persönliche Perspektive geben können und einen Denkanstoß für den Einzelnen, der sich damit auseinander setzen will.

Die letzten Fragen, bevor das Filmgespräch geschlossen werden musste, waren eine Reflexion auf die Zukunft. Es wurde in den Raum geworfen, wie man den Schrei nach Veränderung, den Beuys betonte, überhaupt umsetzen kann. Auch wurde gefragt, was wir heute aus Joseph Beuys machen und an welcher Stelle er wahrscheinlich auch in uns steckt. Wie weit das Wirken Beuys Schaffen reicht, wurde auch an einer der letzten Fragen sichtbar, da jemand aus dem Publikum fragte, was wir überhaupt aus unserer Welt machen, dass wir einer Verantwortung unterliegen und uns auch selbst fragen müssen, wo wir selbst als Individuum anfangen und wo der Andere.

Vor allem der letzte Teil der Reflexionsfragen, sind Themen, welche in ganzen Abhandlungen diskutiert werden könnten. Im Filmgespräch konnten jene leider nur äußerst oberflächlich behandelt werden, da das Gespräch auch aus Zeitgründen abrupt abgebrochen werden musste. Falls eine derartige Veranstaltung nochmal angeboten werden sollte, sollten die Organisatoren mehr Zeit einplanen. Auch sollte Frau Dr. Siegert etwas mehr auf ihre non-verbale Sprache achten, denn sich von jemanden, der eine Frage stellt, wegzudrehen und sogar einer dritten Person etwas mitzuteilen, kommt sehr unhöflich beim Publikum an.

Zusammenfassend kann zum Filmgespräch nur noch gesagt werden, dass es eine exzellente Idee war dieses an den Film anzuschließen. Nach einem, doch schwer verdaulichen, Streifen wie Beuys ist die Möglichkeit, im Anschluss Fragen zu stellen, ein Segen für das Verständnis dessen. Natürlich wäre auch Joseph Beuys glücklich, wenn er erfahren könnte, dass sein Schaffen auch immer noch die Leute zum Reden bringt, wenn nicht sogar zwingt.

Um nach solch einem Abendprogramm ein persönliches Schlusswort zu finden, bedarf es vielen Denkens, denn auch nachdem das Filmgespräch beendet ist, kreisen die Gedanken weiterhin um Persönlichkeit, Schaffen und Film. Einen Punkt hinter Beuys zu setzen, erscheint schwierig. Mit weiteren ausdrucksstarken und runden Auftritten wie diesem, sollte der Verein Kino ist Programm e.V. sein Ziel, ein Programmkino zu etablieren, in der Zukunft erreichen können. Zu Joseph Beuys bleibt zu sagen, dass er zwar seit mehreren Jahren tot ist, jedoch ist sein Werk noch immer aktuell, wenn nicht sogar aktueller denn je. Vielleicht bedarf es deshalb keinen Punkt hinter Beuys