Er wollte Sonne statt Reagan

— Eine Kritik von Daniel Fischer

Alle paar Jahre erblickt ein Film das Licht der Welt, der sich nur schwer in ein bestimmtes Genre einordnen lässt. BEUYS, der im Mai 2017 in den deutschen Kinos angelaufen ist gehört definitiv zu dieser Kategorie. In Programmheften oder auf diversen Internetseiten wird der Film als Dokumentation oder als Biographie aufgeführt, manchmal sogar als Filmbiographie im Dokumentarstil definiert. Doch selbst diese Mischung scheint dem Werk von Regisseur Andres Veiel nicht ausreichend gerecht zu werden. Dieser Film ist deutlich mehr als ein eine simple Dokumentation oder ein langweiliges Bio-Pic. Und das obwohl der Film zum großen Teil aus filmischen Archivmaterial, historischen Bildern und Tonaufnahmen besteht. Doch beginnen wir am Anfang.

BEUYS gibt dem Zuschauer einen Einblick in die Lebensgeschichte des deutschen Aktionskünstlers, Malers, Bildhauers und Professors Joseph Heinrich Beuys. Auch wenn eine Vielzahl der bedeutendsten Lebensereignisse, wie beispielsweise seine Zeit im zweiten Weltkrieg, thematisiert werden, bietet der Film allerdings mitnichten eine exakte oder gar chronologische Darstellung seines Lebens. Die dargestellten Situationen und die daraus resultierenden Veränderungen in seinem Leben werden viel mehr in Verbindung mit seiner künstlerischen Tätigkeit gebracht. Genau darauf zielt der Film ab und offenbart dadurch auch seine ganze Klasse. Er ermöglicht es dem Zuschauer an längst vergangenen oder nur einmalig aufgeführten Performances teilzuhaben und sie, ausgestattet mit den präsentierten Hintergrundinformationen, authentisch mitzuerleben. Zumindest so gut dies mit filmischen Mitteln eben möglich ist.

Der Zuschauer bekommt dadurch nicht nur einen Einblick in die diversen Projekte die Beuys während seines Lebens geschaffen hat, (dazu zählen beispielsweise die Installation Honigpumpe oder die Performance Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt) sondern auch eine Einführung in die Denk- und Ansichtsweisen des deutschen Künstlers. Besonders zentral ist dabei die Definition des Kunstbegriffes den Beuys vertrat. Er wurde nie müde zu erwähnen, dass in jedem Menschen ein Künstler stecke. Jeder Mensch könne Kunst erschaffen und alles, selbst das Denken, könne Kunst werden.

Zeit seines Lebens versuchte Beuys nicht nur seine Schüler, sondern auch die Gesellschaft, von der wie er sie nannte, Blockade des Strukturellen Denkens zu befreien. Leider scheiterten seine Zeitgenossen oftmals jedoch genau an dieser gedanklichen Blockade. Dies wird besonders deutlich, als der deutsche Künstler vor einer Gruppe amerikanischer Studenten spricht und mit der Frage konfrontiert wird, wie man seine Ideen, beziehungsweise seine Ansichten denn nun am besten umsetzten könne? Wie es damit jetzt weitergehen solle?

Der Film hat keine Antwort auf diese Frage parat. Diese will er nicht geben und muss dies vor allem auch nicht. Vielmehr möchte er den Geist und die Ideen Jospeh Beuys in unsere heutige Zeit transportieren und den Zuschauer zum aktiven Nachdenken anregen. Dies macht die anfangs angesprochene Kategorisierung des Films so schwierig. Es handelt sich bei diesem Film viel eher um ein, fast schon wissenschaftliches Essay, als um einen Dokumentarfilm oder eine Filmbiographie. Ein Essay, dass dazu führen soll, dass die Menschen über die Ideen und Ansichten von Beuys diskutieren und sie gegebenenfalls auch kritisch hinterfragen. Die Filmvorführung mit anschließendem Filmgespräch, welche am 17. Juni im Bayreuther Iwalewahaus stattfand, war demnach der perfekte Rahmen für das neuste Werk von Regisseur Andres Veiel.

Die Veranstaltung, die vom Verein Kino ist Programm e. V. initiiert wurde, traf dabei auf großes Interesse, weshalb der Veranstaltungsort bereits zur ersten Filmvorführung des Abends (es folgte der Oscarprämierte Film Moonlight) sehr gut besucht war. Begleitet wurde die Präsentation des Filmes darüber hinaus von einer Ausstellung des im Jahre 2016 verstorbenen Künstlers El Loko. Dieser war in den siebziger Jahren ein Schüler Joseph Beuys an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf und fügte sich, bedingt durch seine afrikanischen Abstammung, auch thematisch sehr gut in den gewählten Veranstaltungsort ein.

Nach Ende des Films standen den interessierten Zuschauern, und dies waren nicht gerade wenige, unter der Leitung von Gabi Röhler, Frau Dr. Marina von Assel, Leiterin des Bayreuther Kunstmuseums, sowie die promovierte Kunstwissenschaftlerin Dr. Nadine Siegert Rede und Antwort. Neben einigen Fragen über das Leben Joseph Beuys, welches im Verlauf des Films keine größere Beachtung fand, beispielsweise die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, wurde die Leiterin des Bayreuther Kunstmuseums, die zu Beginn Ihrer Laufbahn eine Ausstellung mit Exponaten Joseph Beuys organisierte, mit der Frage konfrontiert ob es denn, auch im Bezug auf den Film, überhaupt möglich wäre die Kunst des Krefelder Künstlers angemessen auszustellen. Diese Frage musste sie deutlich verneinen, da dies ihres Erachtens nach nur eine Darstellung von Reliquien sein könne. Sie merkte jedoch an, dass trotz alledem auch dort die Diskussion über die Werke und dessen Bedeutung teilweise energisch geführt wurde, was den Ansprüchen die Beuys an seine Kunst hatte, jedoch zumindest in gewisser Weise gerecht wurde.

Die Diskussion nahm daraufhin im weiteren Verlauf eine äußerst interessante Entwicklung. Denn ähnlich wie in der bereits dargestellten Szene kam auch im Iwalewahaus die Frage auf, was man denn heutzutage mit seiner Kunst anfangen solle und warum Beuys denn auch heute noch so spannend sein könne? Dabei zeigte sich deutlich, dass auch nach mehr als dreißig Jahren noch viele Menschen an der von Beuys propagierten Blockade des strukturellen Denken scheitern. Dies wurde besonders durch Fragen nach der Finanzierung seiner Kunst oder der Bezeichnung Beuys als „Randalierender“ in sehr deutlicher Art und Weiße erkennbar. Hier wurde versucht die Arbeiten, oder in mancherlei Hinsicht auch das Leben des Künstlers in klassische Strukturen, beispielsweise in die Strukturen des Kapitalismus, einzuordnen was nur schwer möglich ist. Genau diese Einordnung wollte Beuys darüber hinaus eigentlich auch überwinden.

Nichtsdestotrotz hatte der Film, besonders auf die jüngeren Zuschauer, einen bemerkbaren Eindruck hinterlassen. Nach der Veranstaltung waren viele Grüppchen zu sehen die sich über das gerade Gesehene beziehungsweise Besprochene noch weiter austauschten und angeregt diskutierten. Dabei wurden oftmals auch die Werke des afrikanischen Künstlers El Loko mit einbezogen, was noch weiteren Gesprächsstoff anbot und Interpretationsspielraum eröffnete.

Die Verantwortlichen des Films, aber wahrscheinlich sogar Joseph Beuys selbst, hätten diesen Effekt wahrscheinlich mit großer Zufriedenheit wahrgenommen. Denn der Film ermöglichte es den Menschen noch einmal, oder zum ersten Mal, sich mit den Werken und Ansichten dieses bedeutenden Künstlers aktiv auseinanderzusetzen und vielleicht sogar etwas daraus zu lernen.

Der Film profitierte demnach enorm von dem gewählten Rahmen und der angeschlossenen Diskussionsrunde. Sollte also die Möglichkeit bestehen den Film in einen ähnlichen Rahmen zu erleben, so lohnt es sich definitiv diese Möglichkeit  wahrzunehmen. Denn erst dort entwickelt der Film sein ganzes Potential. Es muss jedoch aber auch deutlich angemerkt werden, dass Zuschauer welche eine handfeste Dokumentation mit chronologischen Lebenslauf erwarten hier wahrscheinlich etwas enttäuscht werden. Dies zeigte sich auch anhand einiger Zuschauerkommentare nach der Präsentation des Films im Iwalewahaus. Trotzdem kann der Film, der auch durch seine technische Ausgestaltung und teilweise künstlerischen Kinematographie zu überzeugen weiß, für all diejenigen die bisher noch keinerlei Kontakt mit den Werken und der Person Joseph Beuys hatten, ein guter Einstieg sein.

Darüber hinaus ist dem geneigten Filmenthusiasten auch das regelmäßig stattfindende Programmkino des Vereins Kino ist Programm e. V. ans Herz zu legen. Denn anders als es in den großen Multiplex-Kinos der Fall ist, hat man hier als Zuschauer die Chance etwas über den Tellerrand des bombastischen Hollywood-Kinos zu schauen. Man hat nicht nur die Möglichkeit kleinere Produktionen zu sehen, sondern man kann sich auch aktiv an der Gestaltung des Erlebnis Kinos beteiligen. Man ist nicht in der Rolle des passiven Konsumenten gefangen und  kann sich darüber hinaus auch mit, vielleicht auch etwas heikleren Themen, auseinandersetzen die heutzutage eher selten in großen Kinofilmen thematisiert.