München: Die Erste. München: Die Zweite. München: Die Fünfunddreißigste.
Wo ist hier eigentlich das Popcorn?
— Eine Kritik von Isil Sanli —
Diesen Sommer erlebte ich das 35. Filmfest in München. Für mich: mein erstes Filmfestival überhaupt! Drei Tage, drei Filme. Rückblickend definitiv nicht genug. Das Münchener Filmfest war für mich eine ganz neue Erfahrung und vor allem ganz anders als erwartet. Nicht zwangsweise schlechter als erwartet, sondern eben eher anders als erwartet. Erwähnt werden muss hier, dass ich mit meiner fehlenden Filmfestivalerfahrung, aber auch wenig Erwartungen mitgebracht habe. Das Festival fand vom 22. Juni bis 1. Juli 2017 in verschiedenen Kinos in ganz München statt. Ingesamt 180 aktuelle Filme aus 60 verschiedenen Ländern wurden gezeigt. Darunter auch einige Prämieren. Auch rund um das Festival wurde an Events und Stars nicht gespart, so zumindest die Ankündigung. Viele Regisseure und Schauspieler waren selbt vor Ort und für Gespräche verfügbar. Das Filmfest fand in diesem Jahr zum 35. Mal statt und ist neben dem Berliner Filmfest das Größte in Deutschland.
Carl-Orff-Saal
Der ersre Abend meines Filmfestbesuchs bagann am 29.06. um 20.00 Uhr im Carl-Orff- Saal des Gasteig mit David Lynch: the art life von den Regisseuren Jon Nguyen und Rick Barnes. Da es mein erster Filmfestbesuch, nicht aber mein erster Kinobesuch war, wirkte das Ambiente etwas befremdlich auf mich. Taschen und Rücksäcke wurden vorher an der Garderobe abgegeben, vor dem Kinosaal gab es eine kleine Bar mit Snacks und Getränken, die natürlich nicht mit in den Saal durften. Keine Werbung, keine Cola, kein Popcorn, kein Eismann. Okay ein bisschen Werbung gab es dann doch, als die Sponsoren des Filmfestes eingeblendet wurden. Tatsächlich ist der Dokumentarfilm über das frühe Leben des Künstlers und Filmemachers David Lynch ausverkauft. Die Filmfestbesucher machen den Eindruck, als seien sie nicht das erste Mal hier. Vielmehr wirkt das Ganze, wie ein Theaterbesuch. Man spührt Filmfest ist ein Ereignis. Kino ist ein Ereignis.
Im Dokumentarfilm erzählt David Lynch seine frühe Lebensgeschichte und wie er zur Kunst und zum Filmemachen kam. Er malt, er schleift, er klebt, er erzählt, er raucht. Er raucht sehr viel. Der Rauch seiner Zigarette wird zum ständigen Begleiter. Er legt sich schwer um seinen Kopf und bleibt minutenlang. Immer wieder gibt es Sequenzen, in denen Lynchs Bilder eingeblendet werden. Es ist ein scheinbar intimer Blick auf Lynchs Kunst. Schließlich erzählt er viel aus seinem Privatleben, über seine Familie und Beziehungen, über seine Kunst. Dennoch wirkt alles sehr konstruiert. Der Film schafft es nicht den Eindruck der Privatheit erfolgreich zu vermitteln, obwohl immer wieder Originalaufnahmen Lynch im privaten Umfeld zeigen.
Kino 2
Nach dem ersten Tag auf dem Filmfest, der zum Ende hin doch eher wie ein gewöhnlicher Kinobesuch, nur eben ohne Popcorn war, überraschte mich der zweite Tag umso mehr. Das lag zum einen an dem wirklich unheimlich guten Film und zum anderen an dem Gespräch mit Regisseurin und Hauptdarstellerin Noel Wells. Mr. Roosevelt feierte am 28. Juni seine Deutschlandprämiere und zeigt ein Wochenende im Leben von Emily Martin. Emily, die nach LA gezogen ist, um dort Komödiantin zu werden, kehrt in ihre Heimatstadt Austin zurück, da ihr Kater Mr. Roosevelt sterbenskrank ist. Zurück in Austin wird sie mit ihrer Vergangenheit, ihrem Ex-freund und seiner neuen Freundin und ihrer eigenen Gegenwart konfrontiert. Der Film schafft auf eine humorvolle Art und Weise Konflikte aufzugreifen, ohne dabei vohersehbar zu sein. Im Anschluss an den Film meldete sich dann Noel Wells zu Wort, die nicht nur Hauptdarstellerin und Regisseurin, sondern auch Autorin des Films ist. Sehr sympatisch und offenherzig erzählte sie vom autobiographischen Charakter der Geschichte, ging aber auch auf Fragen der Finanzierung und andere filmische Themen ein. Obwohl das Gespäch kurz gehalten werden musste, da Noel abreisen musste, wurde dieser Film zum Highlight meines Festivalbesuchs. Dieser zweite Film fand im Kino der Hochschule für Fernsehen und Film München statt und verglichen mit dem Gasteig vom Vorabend hatte sich nicht nur der Altersdurchschnitt deutlich gesenkt, sondern auch die Atmosphäre insgesamt verändert. Eine wichtige Rolle spielte sicherlich, dass David Lynch: the art life ein Dokumentarfilm ist und mit einer 20:00 Uhr Vorstellung ein anderes Publikum anzieht, als Mr. Roosevelt eine Komödie, die um 15:30 Uhr lief. Auch das Kino spielt hier eine wichtige Rolle. Das Kino im Gasteig, deutlich nobler und für gehobene Veranstaltungen geeignet, verströmt schon am Eingang ein ganz anderes Gefühl als das Kino der HFF, in dem auch Popcorn wieder okay gewesen wäre, hätte es welches gegeben.
Kino 1
Den dritten und letzten Film sah ich wieder im Kino der HFF, wieder eine Nachmittagsvorstellung, dieses mal aber an einem Samstag. Zwei im falschen Film, eine deutsche Produktion, feierte seine Prämiere und war vollkommen ausverkauft. Im Rahmen der Reihe Neues Deutsches Kino ist auch dieser Film für den Publikumspreis nominiert. Zwei im Falschen Film zeigt das Paar Hans und Heinz, so nennt Hans seine Freundin Laura, die zu Ehren ihres achten Jahrestags einen romantischen Film im Kino besuchen. Gefangen in der Routine ihrer Beziehung müssen die beiden feststellen, dass es die perfekte Beziehung nicht gibt. Heinz, eine Schauspielerin, die als Synchronsprecherin eine Zeichentrick Ampel synchronisiert, hört ihre biologische Uhr ticken und versucht das alte Feuer ihrer Beziehung erneut zu entfachen. Lange blone Haarextensions und ein Stiwechsel sollen die Jugend zurück bringen. Hans, der seit Jahren einen Copy-Shop betreibt und bewohnt, ist von diesem Ehrgeiz seiner Freundin weniger begeistert und möchte prinzipiell an seinem Leben nichts ändern. Diese Kombination führt zu furchtbar ehrlichen, nackten und peinlichen Szenen. Der Zuschauer begleitet die zwei durch ihre Beziehungskrise, die sich zu einer ausgewachsenen Lebenskrise mausert.
Drei Tage München, ein Fazit.
Leider konnte der letzte Film nicht mit einem begleitenden Event oder Gespräch aufwarten, weshalb auch nach meinem letzten Festivaltag, der Besuch von Mr. Roosevelt mein persönliches Highlight blieb. Insgesamt erlebte ich drei wirklich schöne Festivaltage, bereute es aber nicht mehr Filme besucht zu haben. Das Münchener Filmfest, so groß und glamourös es auch sein mag, bietet leider keine geschlossene Atmosphäre. Verteilt auf die vielen Kinos der Stadt tritt das Festival nicht gekonnt in den Fokus der Öffentlichkeit. Das Münchener Stadtleben ist nicht betroffen vom Filmfest. Keine Veranstaltungen und Filmvorführungen an öffentlichen Plätzen. Das Filmfest spricht ein bestimmtes Publikum an und trifft in keiner Weise die Stadtbewohner mit seiner Präsens. Natürlich kann ich nur von dem schmalen Auschnitt des Events berichten, den ich miterleben konnte, dennoch fehlte mir dieser Eindruck stark. Ich hätte mir mehr Mitreden, mehr Diskussion, Teilhabe und Popcorn gewünscht.