„Der Effekt des Wassers – L’effet aquatique“ (2016)

— Eine Kritik von Sabrina Heldmann —

Poröse Fliesen, in denen sich sterile Geradlinigkeit spiegelt und mit sozialistischem Eifer bedachte Schwimmbadregeln. Das städtische Schwimmbad im kargen Pariser Vorort Montreuil scheint auf den ersten Blick nicht der passende Ort für eine Liebesgeschichte. Und doch gelingt Regisseurin Sólverig Anspach, mit dem am 25. Mai 2017 in Deutschland erschienenen französischen Film „Der Effekt das Wasser“, eine gefühlvolle Romanze der leisen Töne, die mit einem humoristischen wie skurrilen Setting ihresgleichen sucht.

Im Zentrum der Geschichte steht Kranführer Samir (Samir Guesmi), der sich in Bademeisterin Agathe (gespielt von Florence Loiret-Caille) verliebt. Um ihr nahe zu sein, gibt er vor, nicht schwimmen zu können und nimmt bei ihr Einzelunterricht. Als Samirs Umkleidekabine eines Abends klemmt und er so über Nacht im Schwimmbad eingeschlossen wird, trifft er auf Agathe, die die Stille des Bades nutzt, um eigene Bahnen zu schwimmen. Die beiden kommen sich näher. Doch es kommt, wie es kommen muss: Als ein weiterer heimlicher Schwimmbadgast ins Wasser fällt und Samir, eigentlich ein ausgezeichneter Schwimmer, instinktiv zur Rettung eilt, fliegt seine Geschichte auf. Samir will sich Agathe erklären. Doch diese ist bereits am nächsten Tag, verletzt durch Samirs Täuschung, unterwegs nach Island zu einem internationalen Bademeisterkongress. Aus Trockenübungen wird für Samir Ernst: Er beschließt, Agathe nachzureisen.

„Als wäre man in einem Aquarium“

Anspach zeigt die Welt um Montreuils Schwimmbad in Nahaufnahme, ungeschminkt und unprätentiös. Umso zauberhafter wirkt die zarte Romanze, die sich langsam zwischen den Hauptcharakteren entwickelt. Teils komische, teils skurrile Momente erstrecken sich dabei einerseits aus dem Unerwarteten, wie beispielsweise in der Parodie klassischer Rollenerwartungen. Etwa dann, wenn eine Bademeisterin den duschenden Samir sexuell belästigt. Zum anderen gestaltet Anspach eine filmische Realität in Überschärfe und erzeugt so ein humorvoll-kurioses Komödienspiel. So ist es, obwohl in den Schwimmbädern Frankreichs heute nur noch selten Badekappenpflicht herrscht, für Mitarbeiter und Schwimmbadbesucher noch selbstverständlich, ihr Haar mit peinlicher Genauigkeit unter der Mütze zu verstecken. Auch das Abduschen vor dem Badegang wird nicht nur regelkonform ungesetzt, sondern pedantisch abgeprüft. Ordentlich zu schäumen hat es. Montreuils Stadtbad ist ein Mikrokosmos, in dem die Zeit zuweilen stillzustehen scheint. „Als wäre man in einem Aquarium“ formuliert es Agathe treffend, als sie des Nachts im schon geschlossenen Schwimmbad auf Samir trifft.

Aber all dies passt in die numinose Erzählweise der Geschichte, die mit Kontrasten spielt, in der die unterkühlte Welt der Fliesen und geometrischen Ordnung eines Gemeindebads auf die zarte Poesie des Wassers trifft. So gesehen kann der „Effekt des Wassers“ keine Satire sein, zu einfühlsam sind die Begegnungen von Agathe und Samir im Wasser. „Der Effekt des Wassers“ ist vielmehr ein modernes Märchen und wie in Märchen üblich, ist das Wundersame ganz und gar nicht verwunderlich. Ganz in der Tonalität der Geschichte und damit im fantastisch Unvorhersehbaren bleibt es daher, dass Agathe, nachdem ihr Vorgesetzter zurücktreten musste, an seiner Stelle zu einem internationalen Bademeisterkongress nach Island fährt.

Ein Bademeisterkongress mit israelischen Friedenprojekt und absurden Hygienevorschriften

Der internationale Bademeisterkongress, von dem es selbst unwahrscheinlich ist, dass er, aufgezogen wie ein Staatsakt, in dieser Weise je stattfinden könnte, wird zum Zentrum der Absurditäten. Dabei schafft es Anspach, die gleichzeitig auch Autorin des Drehbuchs ist, mithilfe unkonventioneller Ideen, den Zuschauer stets mit einer einmaligen Situationskomik zu überraschen. Etwa als Samir Agathe nach Island nachfolgt und vorgibt, israelischer Delegierter zu sein und aus der Erklärungsnot heraus, ein israelisch-palästinensisches Friedensprojekt zum gemeinsamen Schwimmbadbau improvisiert. Genauso gehören eine Präsentation über lächerliche Hygienevorschriften und eine Stadträtin, die sich mit ihrem Amt alle zwei Tage mit ihrem Kollegen abwechselt, zur Geschichte.

Um den Konflikt zwischen Agathe und Samir aufzulösen, treibt Anspach das Spiel mit dem Unglaublichen auf die Spitze und bedient sich eines Kunstgriffs im Sinne von Deus ex machina. Samir und Agathe sind beim morgendlichen Frühstück in der Küche ihrer Gastgeberin, als Samir an der Kaffeemaschine, gefolgt von dramatischen Blitzen, einen elektrischen Schlag erhält und daraufhin sein Gedächtnis verliert. Samir, gespielt von Samir Guesmi, überzeugt mit mal tragischem, mal komischen Mienenspiel und Ausdrucksstärke, die entscheidend zum Esprit des Films beiträgt und den Zuschauer stets rätseln lässt, ob er tatsächlich sein Gedächtnis verloren hat oder dies nur ein weiterer Versuch ist, Agathe für sich zu gewinnen.

Wie jedes Märchen hat auch dieser Film eine tiefer gehende Wahrheit, die sich nicht an der Realitätstreue der Handlung festmachen lässt: „Der Effekt des Wassers“ ist eine Geschichte der Kranführer und Bademeisterinnen dieser Welt. Unverfälscht und ohne bildungsbürgerliche Distanz nimmt uns Anspach mit in die Gefühlswelt der Charaktere, die sie mit all ihren liebenswerten und besonderen Eigenheiten lebendig werden lässt. Gerade in den schmucklosen Nahaufnahmen der Charaktere treten diese umso näher an uns heran. Die Handlung, die in ihrer Unvorhersehbarkeit an das Fantastische heranreicht, wird gerade in jenen charakterlichen Feinheiten glaubhaft, authentisch.

 

Der Effekt des Wassers

Das Wasser wird zum tragenden Leitmotiv. Während anfänglich noch Schwimmleinen und starre Bahnenstreifen die beiden Liebenden voneinander trennen, werden jene Grenzen in den mythischen heißen Quellen Islands schließlich aufgelöst. Zunächst in der mise en scène durch das Aufsteigen des Wasserdampfes, der jede Trennlinie aufweicht und schauspielerisch, in dem erlösenden Kuss zwischen Samir und Agathe, der gleichsam wie im Märchen auch den Fluch des Vergessens aufzulösen scheint.

Die Geschichte mit einer Reise nach Island zu verknüpfen, hat dabei nicht nur mit dem wundersamen Mythenschatz des Landes zu tun, der sich hervorragend in die numinose Handlung einfügen lässt, sondern sicherlich auch mit den eigenen isländischen Wurzeln von Regisseurin Sólverig Anspach. „L’effet aquatique“ oder isländisch „Sundáhrifin“ ist der letzte Teil einer Island-Trilogie zu denen Anspachs Filme „Skrapp út – Bin gleich zurück“ (2006) und Queen of Montreuil (2011) gehören. Dabei stand Florence Loiret-Caille bereits als Hauptdarstellerin in der Anspach-Produktion „Queen of Montreuil“ ebenso im Mittelpunkt einer Island-Geschichte, die in ähnlicher Weise unprätentiöse Realität mit wundersamen Vorkommnissen verknüpfte.

Bedauerlicherweise starb die französisch-isländische Regisseurin 2015 unerwartet während der Dreharbeiten, weshalb Co-Autor Jean-Luc Gaget die Regiearbeit zur Hälfte des Films übernahm. Nicht nur mit ihrer Island-Trilogie, sondern auch in Filmen wie „Treibsand“ (2013), bewies Anspach, dass sie das Spiel mit dem Alltäglichen verstand, es schaffte, mit Blick auf scheinbar unwichtige Details, liebenswerte Charaktere mit Tiefgang zu schaffen. Mit Anspach geht ein gutes Stück des zeitgenössischen französischen Films.

„Der Effekt des Wassers“ ist ein liebevoller Film, der in leisen Tönen mit Komik und etwas Exzentrik, einfühlsam eine Liebesgeschichte erzählt und vollkommen zurecht mit der goldenen Palme von Cannes und mit dem Publikumspreis auf den Französischen Filmtagen Stuttgart-Tübingen ausgezeichnet wurde.