Eine menschenfressende Pflanze erobert mit 57 Jahren noch immer die Bildschirme der Gegenwart

— Eine Kritik von Jenny Loth —

„The Little Shop of Horrors“ von Roger Corman ist ein Kultfilm, der sich den Titel Filmklassiker seines Genres verdient hat. 57 Jahre sind seit der Produktion des amerikanischen Streifens vergangen, seitdem gilt er als einer der erfolgreichsten B-Movies. Mit einer Produktionsdauer von nur zwei Tagen, ist er dazu auch noch einer der am schnellsten gefertigten Filme.

Diesem besonderen Film hat auch die außergewöhnliche Filmkritikerin Frieda Grafe eine Rezension gewidmet: „Der reine Schlock“. Veröffentlicht wurde der Artikel 1977 in der Süddeutschen Zeitung. Bemerkenswert ist, dass Frieda Grafe nicht auf das Schreiben angewiesen war. Deshalb konnte sie ihren Interessen nachgehen und Artikel aus Leidenschaft an der Sache verfassen. Dabei revolutionierte sie auch das filmkritische Schreiben. Sie sagte sich von der allgemeinen Ideologiekritik los und setzte die Filmkunst in Relation zu anderen Künsten. In ihrer Kritik zu „The Little Shop of Horrors“ ist ebenjenes Phänomen zu erkennen, begünstigt wird das Ganze durch die Tatsache, dass ihr Artikel erst 17 Jahre nach Produktion der Horrorkomödie entstand. Die große zeitliche Differenz verlieh Frieda Grafe bereits eine Retrospektive. Zwar ist diese nicht vergleichbar mit der eines heutigen Filmkritikers, jedoch ist Grafe, aufgrund dessen, in der Lage bereits selbst erste filmhistorische und kulturelle Kontexte zu erkennen.

Frieda Grafes montageartig-lebendiger Schreibstil ermöglicht dem Leser die kritisierten Filmszenen vor dem inneren Auge nochmals abzuspielen. Sie schafft selbst eine Art szenisches Erzählen, welche nicht einfach nur eine plumpe Plotzusammenfassung ist. Der historische Bruch, Filme mit anderen Künsten in Verbindung zu bringen, lässt sich auch in „Der reine Schlock“ erkennen. Zum einen gibt sie einen literarischen Verweis auf ein Werk des amerikanischen Architekten Robert Venturis, zum anderen einen auf die kulinarischen Künste und dessen Kritiker Wolfram Siebeck. Mit Verweisen auf andere Künste trägt sie sowohl ihre übergreifenden Kenntnisse an das Publikum heran als auch deren Blick und Horizont zu erweitern. Frieda Grafes Intention ist es dem Publikum die Möglichkeit zu geben den Film in einem soziokulturellen Kontext zu lesen und interdisziplinäre Deutungsvarianten zu unterstützen. Ihre Filmkritik ruft auf diese Weise eine revolutionäre Schreibpraktik auf, die von dem bis dorthin normierten filmhistorischen Maßstab abweicht. Während Frieda Grafe damit in den Siebzigern als Rebell galt, ist solch eine kategorisch übergreifende Perspektive gegenwärtig selbstverständlich.

Roger Cormans Streifen „The Little Shop of Horrors“ wurde, wie bereits erwähnt, 1960 produziert. Eine Zeit die, filmhistorisch betrachtet, eine der Veränderung war. Das goldene Zeitalter Hollywoods war vorüber. So wurde aber auch die Bühne für neue Stilrichtungen vorbereitet und Roger Corman trat ins Rampenlicht und mit ihm seine Art der Produktion. Jene zeichnete sich vor allem durch seine Geschwindigkeit, Simplizität und Preisgünstigkeit aus. Ebendiesen Aspekt nimmt Frieda Grafe auch in ihrer Kritik auf. Sie erklärt, dass eine derartige Devise für Roger Corman nicht ungewöhnlich ist, dass seine „Kunst […] darin [liegt], allgemein übliche Produktionsbedingungen bis zum Wahnsinn zu betreiben.“ Jene Aussage greift den Wandel des Filmemachens in Hollywood auf. Roger Cormans Produktionsweise ist zwar für ihn selbst nicht ungewöhnlich, jedoch in der Filmbranche aufsehenerregend. Mit minimalistischen Mitteln und Aufwand schafft er einen Film, der sich seiner Simplizität bewusst ist. Der Streifen hat nicht den Anspruch etwas vorzutäuschen, was er nicht ist. Im Gegenteil, seine Produktionscharakteristika werden in Kombination mit der schauspielerischen Leistung gewollt in Szene gesetzt. Für diese Besonderheiten hat Frieda Grafe selbstverständlich auch eine Fachterminologie parat: Schlock. Der Begriff Schlock ist auch bis zur Gegenwart noch in Verbindung mit B-Movies zu finden. Während dieser auf ein künstlerisch minderwertigeres Produkt referiert, welches zumeist auch mit einem geringen Zeit- und Geldaufwand zusammenhängt, ist er jedoch nicht nur negativ konnotiert zu verstehen. Besonders in der Sparte der B-Horrorfilme nimmt der Begriff des Schlocks eine extraordinäre Position ein, vor allem aus der gegenwärtigen Perspektive ist dies sichtbar. Als Frieda Grafe ihre Kritik schrieb, schien sie den Trend bereits zu erkennen, denn sie verwendet den Terminus durchaus positiv konnotiert. Zwar ist Schlock ein B-Movie-spezifisches Merkmal, jedoch spielt Corman absichtlich damit. Offensichtlich zum Gefallen Grafes, denn sie formuliert dieses Phänomen folgendermaßen: „[Corman zeigt, w]ie weit man noch gehen kann mit den Konsumenten. Was wir zu schlucken und verdauen bereit sind. Und mit Vergnügen.“ Cormans Schlock ist nicht einfach nur degenerierter Produktionsabfall, sondern ein filmisches Mittel, um die narrative Ebene der Horrorkomödie zu unterstützen. Aus der gegenwärtigen Perspektive heraus lässt sich „The Little Shop of Horrors“ als Vorbild für darauffolgende B-Movies und Horrorkomödien erkennen. Der außergewöhnliche Erfolg von Cormans Filmen im Allgemein, spiegelt sich auch an deren Besetzungen wieder. Seine Filme waren unter anderem Sprungbretter für Schauspieler wie Francis Ford Coppola oder Peter Bogdanovich. Frieda Grafe bezeichnet sie als seine Nachkommenschaft. Eines der bekanntesten Kinder Cormans ist Jack Nicholson, obwohl er nur eine kleine Nebenrolle in dem B-Streifen einnimmt, zählt ihn Grafe zu einem der bedeutendsten Schauspieler. Jedoch ist sie nur durch den Zeitunterschied, der zwischen ihrer Kritik und der Produktion des Films liegt, dazu fähig diese durchaus richtige Schlussfolgerung zu treffen. An dieser Stelle des Artikels ist zu erkennen, dass Grafes Urteil selbst schon filmhistorisch geprägt ist. Dadurch, dass sie eine Kennerin der Filmkunst und deren Geschichte ist, kann sie essentielles Wissen ihn ihre Kritik einfließen lassen, welches ihr, kombiniert mit der Zeitdifferenz, einen geschärften Blick verleiht.

Unter diesem Gesichtspunkt thematisiert sie in einer einzigen sehr prägnanten Aussage einen weiteren essentiellen Aspekt des Films: den Horror. Dazu schreibt sie: „Was den Horror in diesem Film betrifft, nur dass man auch mit den richtigen Erwartungen ins Kino kommt: mit klassischem Hitchcock verglichen ist er etwas degeneriert.“ Der englische Filmemacher war ein Vorreiter auf dem Gebiet des Horrors und des Thrillers und hat beide Genres mit seinen Streifen maßgebend geprägt. Seine Filme wurden zu Meilensteinen der Filmgeschichte, die auch noch in der Gegenwart rezipiert werden. Diesen Status, wenn auch in einer etwas abgeschwächten Variation, hatte er auch schon zu Frieda Grafes Zeit. Daher erscheint es nur selbstverständlich, dass sie einen Bezug zu ihm herstellt, sobald sie das Thema Horror anspricht. Hitchcocks Filme haben mit den Motiven der Spannung und der Angst Zuschauern unangenehme Gedanken und Träume gebracht. Verglichen mit dieser Wirkungsweise ist der Horror in „The Little Shop of Horrors“ wirklich nur lachhaft und kaum unheimlich. Ebendiese Tatsache will Grafe mit ihrer Bezugnahme zum englischen Filmemacher herausstellen, um, zum einen den Kinogänger darauf vorzubereiten, was ihn erwarten sollte und zum anderen um auch darauf hinzuweisen, dass jener Aspekt des Films Verbesserung bedürfte. Denn, obwohl sich der Film dem Genre der Horrorkomödie zugehörig fühlt, weicht jedoch von dem derzeitigen filmhistorischen Maßstab des Horrors, der von Hitchcock geprägt wurde, ab.

Wie in diesem letzten Abschnitt von Grafes Kritik zu erkennen ist, adressierte sie den Artikel an ein Publikum, welches sich nach der Lektüre erst den Film anschaute. Ihre Intention war sicherzustellen, dass mit den richtigen Ansprüchen an den Film ins Kino gegangen wird. Durch ihre Kritik wurden bei mir erste Erwartungen noch vor der Sichtung des Films an diesen gestellt. Jedoch ergab sich auch ein, in gewisser Weise, kritischer Blickwinkel auf ihre Kritik, da mich vierzig Jahre von Grafes Kritik trennen. In dieser Zeit fand ein großer cinematographischer Wandel statt und auch die Ansprüche an Filme und Kunst generell veränderte sich. Derart geprägt, erwartete ich einen gruseligen Schinken mit ein paar Lachern, jedoch wurden meine Erwartungen alles andere als erfüllt und doch weitaus übertroffen. Aus einem Film, der nur aufgrund von wissenschaftlicher Arbeit heraus rezipiert wurde, wurde ein Film, der zur persönlichen Unterhaltung mehr als einmal geschaut wurde. Gründe dafür finden sich sowohl im Overacting und Slapstickhumor als auch im Horror und der Produktionsart selbst. Besonders die Kombination dieser Auffälligkeiten miteinander führt zu einem Film, der in der Gegenwart noch beim Publikum ankommen kann. Er kann, muss aber nicht. „The Little Shop of Horrors“ ist aktuell ein Film, dem der Kultstatus zweifellos zugesprochen wird. Aber nicht jeder findet Gefallen an der Machart und Handlung. Es lassen sich weitreichend sowohl gute als auch schlechte Bewertungen finden. Er lässt sich nicht überwiegend einem Qualitätsurteil zuordnen. Dieser Uneindeutigkeit verdankt er es wahrscheinlich auch, dass er sich immer noch der Rezeption erfreuen kann. Denn so bleibt er im Gespräch. 1986 wurde sogar ein Musical-Remake, auf Cormans Horrorkomödie basierend, gedreht, darauf werde ich jedoch an späterer Stelle nochmal eingehen. Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass der Streifen durchaus als kontrovers zu betrachtet ist und Futter für Diskussionen bietet.

Aus gegenwärtiger Perspektive sind besonders die Verwendungen und Wirkungsweisen von Horror und Humor und wie Roger Corman sie miteinander verknüpft, faszinierend. Wie bereits erwähnt, ist der Horror im Film eher unterentwickelt. Nicht nur im Vergleich zu anderen Horrorfilmen, die bis in die Siebziger produziert wurden, sondern auch, und vor allem, im Vergleich mit heutigen Horrorstreifen. Aktuelle Horrorfilme spielen auf einer ganz anderen Ebene im Vergleich zu Cormans Werk. Während das Unheimlichste in „The Little Shop of Horrors“ wahrscheinlich die unnatürlich tiefe Männerstimme der kleinen Menschenfresserpflanze ist, sind heutige Horrorfilmkonsumenten durch Filme wie „The Strangers“ und „Insidious“ weitaus grauenvollere Streifen gewohnt. Es bedarf jedoch keinem Kenner, um zu entdecken, dass der Horror um die fleischfreudige Pflanze etwas zurückgeblieben ist. Durch die gesamte Fernseh- und Kinokultur ist der normale Konsument heutzutage weitaus vertrauter und abgestumpfter was Horror betrifft. So beispielsweise durch die Serien „The Walking Dead“ und „Hannibal“, die nach ihrer Produktion schnell einen festen Platz im deutschen Fernsehprogramm erhalten haben. Im Programm solcher Serien stehen Horrorelemente ganz oben, damit verglichen wirkt der Horror in „The Little Shop of Horrors“ schon lachhaft. Das Wort „lachhaft“ ist an dieser Stelle mit vollem Bewusstsein gewählt, denn der Humor der Horrorkomödie nimmt eine essentielle Stellung ein. Sowohl Slapstickhumor als auch schwarzer Humor und Sarkasmus sind in Cormans Film zu finden und als ob das Ganze noch nicht genug wäre, wird der Humor noch durch absichtliches Overacting untermalt. Das Besondere daran ist, dass sich der Film gerade dadurch von aktuellen Kinostreifen unterscheidet. Während gegenwärtig in Topproduktionen vermehrt auf realistisches Schauspiel gesetzt wird und schwarzer Humor beinahe nur noch bei den Briten zu finden ist, wartet Corman damit in Massen auf. Diese Differenz zu aktuellen Streifen ist es, die den Film heute noch sehenswert macht. Sie zeigt, was es kaum noch gibt und fasziniert auf diese Weise.

Das Budget eines Films scheint heute proportional zu dessen Erfolg zu stehen. Je mehr Geld in die Produktion eines Films gesteckt wird, desto größer scheint die Garantie für dessen Erfolg. Dies ist zwar kein Gesetz, jedoch eine Beobachtung, die nur wenigen Ausnahmen unterliegt. Der alte Streifen Cormans zählt nicht zu diesen Ausnahmen. Mit einem vermuteten Budget um die 30000 Dollar und einer Produktionsdauer von nur zwei Tagen, war der Aufwand bedeutend gering. Derartige Zahlen sind in der gegenwärtigen Filmproduktion nicht mehr zu finden. Selbst der gehypte Auftaktstreifen der B-Movie Reihe „Sharknado“ kann da mit seinem Budget von zwei Millionen Dollar und 18 Tagen Produktion nicht mithalten. Corman ist sich der Simplizität seines Films auch bewusst, er macht sie sich sogar zu Nutzen. Die übertriebene Art und Weise der Schauspielerei fügt sich perfekt in die einfache Produktion, sie wird in einen natürlichen Rahmen eingebettet. Wenn Corman eine teure und aufwendige Produktion aus seinem Film gemacht hätte, würde das Overacting einfach nur lächerlich und fehl am Platz wirken und die Atmosphäre des Films zerstören.

Ebendiese angesprochenen Aspekte des Horrors, Humor, Overacting und Produktion sind guter Zündstoff, der die Kontroverse um den Film in der Gegenwartsgesellschaft antreibt. Derartige Ausdrucksmöglichkeiten sind nicht jedermanns Geschmack und bieten eine Plattform für Diskussionen. Dass der Film und dessen Inhalt Potential besitzen, wurde spätestens 1982 erkannt, als ein Musical, auf dem Klassiker basierend, entstand: „Little Shop of Horrors“. Minimale Änderungen an Titel und Plot. 1986 wurde dieses Musical dann auch verfilmt, immer noch auf Grundlage des Streifens von 1960, jedoch mit neuer Besetzung. Interessant ist das insofern, wenn man die Veränderungen betrachtet: zum einen wurde die Handlung in ein Musical umgesetzt, wahrscheinlich da diese in den Achtzigern sehr beliebt waren und zum anderen das abgeänderte Ende. Während Seymour, in der 1960er Version, stirbt, weil er die Monsterpflanze umbringen will, überlebt er 1986 und erfreut sich einer Zukunft mit Audrey. Diese Wandlung spiegelt auch die filmhistorische Entwicklung wieder und ist faszinierend, da diese Neuerungen vor allem um des Kommerz Willens getroffen wurden. Musicals und sexuelle Subplots mit Happy Ends waren Verkaufsschlager. Während Cormans Variante an der Kunst des Filmemachens selbst interessiert schien, war das Remake an der Maschinerie Hollywoods interessiert. Die IMBd-Bewertungen beider Filme unterscheiden sich dabei kaum. Dem hinzuzufügen ist noch, dass im Jahr 2013 unter der Führung von Warner Bros. eine weitere Neuverfilmung entstehen sollte. Trotz der Uneindeutigkeit des Geschmacksurteils, welches der Film beim Publikum offenbar hervorruft, besteht weiterhin Interesse an der ungewöhnlichen und auch zeitlosen Thematik. Interessant zu sehen wäre, wie eine Gegenwartsverfilmung ausfallen würde und welche Änderungen vorgenommen werden würden.

Abschließend bleibt zu sagen, dass sich „The Little Shop of Horrors“ seinen Titel als Filmklassiker verdient hat. Fast 60 Jahr ist er schon eine Kritikgrundlage. Ungeachtet ob gut oder schlecht. Er bleibt im Gespräch und wie Frieda Grafe schon sagte, „ist [das] nur Kino für Kenner“[1]. Selbst aus der Gegenwart heraus gelesen, fasziniert er noch mit seinem Balanceakt zwischen Simplizität und Komplexität.

Nachweise

[1] Grafe, Frieda/ Patalas, Enno: Film für Film. Berlin: Brinkmann & Bose 2006 (= Ausgewählte Schriften in Einzelbänden. Band 9). S. 162.