Filmkritik von François Truffaut zu Hitchcocks THE BIRDS

— Eine Kritik von Alexandra Frey

Bis heute ist der Film The Birds aus dem Jahr 1963 einer der bekanntesten Filme von Alfred Hitchcock. The Birds ist ein Klassiker des Horrorfilms, welcher seiner Zeit nicht nur in Sachen Technik weit voraus war. 1963 verfasste François Truffaut eine Filmkritik zu Hitchcocks Meisterwerk.

Gleich zu Beginn von Truffauts Kritik wird deutlich, dass es sich bei ihm eindeutig um einen großen Fan Hitchcocks handelt. So beginnt er nicht mit seiner Meinung zum Film oder dessen Analyse. Im Gegenteil er beginnt damit Hitchcock und dessen Werke zu loben und klar zu stellen, welchen Stellenwert und welche Bedeutung seine Filme für die Kinokultur haben. Erst nachdem er Hitchcock gelobt hat, beginnt er von seinem Film The Birds zu sprechen. Auch hierbei schildert er zuerst nicht seine eigene Meinung, sondern kritisiert die negativen Kritiken anderer Kritiker, indem er deren Kritiken zwar als nachvollziehbar, aber unvollständig darstellt. Er vertritt die Meinung, dass die anderen Kritiken nicht das eigentliche Thema des Films, nämlich den Angriff der Vögel, berücksichtigen und deren negativen Äußerungen des Filmes nicht gerecht werden. Truffaut geht hierbei sogar so weit zu sagen, dass das Kino für Filme wie diesen gemacht wurde. Hierbei handelt es sich fast noch um die subtilste Lobpreisung Hitchcocks durch Truffaut. Darin liegt wohl eine der Schwächen seiner Kritik.

Truffaut betrachtet den Film alles andere als subjektiv, im Gegenteil, es bleibt dem Leser unmöglich verborgen, dass es sich bei Truffaut definitiv um einen großen Bewunderer Hitchcocks handelt. Die einzigen negativen Worte, welche er für den Film übrig hat, gelten den zwei Hauptdarstellern, Tippi Hedren und Rod Taylor, und der damit verbundenen Liebesgeschichte oder auch der Jagd nach einem Ehemann, wie Truffaut es umschreibt. Viel mehr Zeit und Text widmet Truffaut in seiner Kritik der Handlung nicht, was dieser aber in keiner Weise schadet. Er konzentriert sich auf Hitchcocks in Szene setzen der Vögel und ihrer Entwicklung im Film. Außerdem schildert er die aufwendig verwendeten Tricks, welche den Film für seine Zeit so außergewöhnlich machen. Dem Schluss widmet Truffaut wieder indirekt Hitchcock und seiner Fähigkeit den Zuschauer mit seinen Filmen in Angst und Schrecken zu versetzen und wie nobel es doch von Hitchcock ist uns diese Angst bereitet zu haben und wie nobel es von den Zuschauern ist, zuzugeben Angst empfunden, es aber genossen zu haben.

Truffauts Kritik ist kurz und bündig und gibt seinem Leser ohne dabei zu viel über den Film zu verraten, einen Einblick in dessen Handlung und Gründe sich diesen Klassiker anzuschauen. Dabei weckt er nicht nur die Neugier auf den Film, sondern auch auf dessen Regisseur. Darin liegt leider eine Schwäche der Kritik. Sie wirkt leider alles andere als unparteiisch und man hat als Leser das Gefühl den Film nicht nicht mögen zu dürfen. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, wie episch in den 1960er Jahren Hitchcocks Film für die Zuschauer gewirkt haben muss, nicht nur in Bezug auf seine Tricks, sondern auch auf seine Art Spannung zu erzeugen. Denn diese Elemente waren ohne Zweifel seiner Zeit nicht nur weit voraus, sondern auch bahnbrechend für die weitere Filmkultur. Dabei möchte ich deutlich machen, dass ich Truffauts Begeisterung für Hitchcock definitiv nicht nur nachvollziehen kann, sondern auch teile. Ich bin nur der Ansicht, dass er es mit seiner Schwärmerei leider einfach etwas übertreibt, wodurch seine Kritik bedauerlicherweise etwas an ihrer Glaubwürdigkeit einbüßt, was sehr schade ist. Ansonsten lässt sich Truffauts Kritik schnell und verständlich lesen und man verspürt definitiv die Lust sich diesen Klassiker das erste Mal oder erneut anzuschauen. Seine objektiven Schilderungen, wenn man von seinen Schwärmereien für Hitchcock absieht, sind nachvollziehbar und informativ. Es handelt sich demnach zwar nicht um eine Kritik im herkömmlichen Sinne, aber definitiv um eine Kritik, welche es verdient gelesen zu werden.

Es ist schwer einen Horrorklassiker einer Regielegende wie Hitchcock unvoreingenommen zu betrachten. Wenn es sich bei diesem Film dann auch noch um The Birds handelt, welcher wohl einer der berühmtesten und wichtigsten Filme Hitchcocks ist, scheint es mit der Objektivität ganz vorbei zu sein. Dennoch versuche ich genau dies, nämlich den Film so unparteiisch wie möglich zu bewerten. Ich muss sagen, dass ich das Glück hatte den Film nur als Kind einmal gesehen zu haben und so das Vergnügen hatte ihn mit anderen Augen und ohne genaue Erinnerung an die Handlung noch einmal fast neu zu schauen.

Hat man all die enthusiastischen Meinungen und Schilderungen des Films im Hinterkopf, wirkt der Anfang des Films beinahe befremdlich, erwartet man doch von Beginn an einen Schrecken ohne Ende und mörderische Vogelscharen ohne Gnade. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Zwar findet man die zwei Protagonisten, Melanie und Mitch, gleich zu Beginn in einem Vogelgeschäft, allerdings wirkt diese Kulisse alles andere als unheimlich. Es handelt sich um ein prototypisches Vogelgeschäft, mit einer hellen und freundlichen Ausstrahlung. Der Streich der beiden Figuren und deren Unterhaltung lässt eher auf eine romantische Komödie schließen, als auf einen Horrorfilm. Betrachtet man die zwei gekauften Papageien, welche mit Melanie synchron im Auto mit den Fahrbewegungen mitschaukeln, wirken die so berüchtigten Vögel eher wie Kuscheltiere und nicht wie Monster aus einem Alptraum. Zwar wird ihre Bösartigkeit mit dem Angriff einer Möwe auf Melanie oder der unheilvoll wirkenden Schwarmbildung der Vögel schon mal angedeutet, aber der wirkliche Horror der Schreckensvögel zeigt sich erst nach fast einer Stunde des Films.

Allerdings ist es genau dieser langsame fast zögerliche Aufbau von Spannung, der die besondere Wirkung des Films ausmacht. Der Zuschauer weiß nicht sofort was Sache ist und bekommt so die Möglichkeit, sich genau vor dieser Ungewissheit zu fürchten. Man vermutet hinter jeder Kurve die todbringenden Vögel und wenn sich diese finstere Vorahnung dann nicht bestätigt, gruselt es den Zuschauer nur umso mehr. Mit jeder Kurve und jedem Zimmer, welches eben nicht von Vögeln heimgesucht wird, wächst dieser Horror, welcher dann endlich mit den Angriffen der Vogelschwärme auf die Spitze getrieben wird. Was zuvor so quälend langsam eingeführt wurde, fällt nun in Wellen oder besser gesagt in Scharen auf den Zuschauer hinab. Dabei äußert sich der Horror nicht nur in hektischen, lauten Angriffen und Momenten des Films. Sondern auch in ruhigen, leisen Situationen. So lässt es den Zuschauer mit jeder Bildeinstellung erstarren, wenn sich hinter Melanie auf einem Gerüst mit jedem neuen Blick mehr schwarze Krähen gesammelt haben, derweil das restliche Bild beinahe ruhig und friedlich wirkt. Während man sich in der ersten Hälfte des Films fast zurücklehnen und entspannen konnte, weiß man in der zweiten Hälfte, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. Um die Angst und das Entsetzen noch zu vergrößern handelt es sich bei den Opfern der Vögel nicht nur um eher unwichtige Statisten, sondern auch um Kinder oder Lydias (Mitchs kleine Schwester) Lehrerin Annie.

Eine besondere Szene stellt die Diskussion von Restaurantbesuchern mit Melanie und später auch Mitch dar, unter anderem mit einer Vogelkundlerin. Dabei berichtet Melanie am Telefon von ihrem Zusammentreffen mit den Vögeln. Ihre Zuhörer, vor allem die Vogelkundlerin, begegnen ihr zuerst mit Spott und Unglauben. Auch die Bestätigung ihrer Geschichte durch einen Fischer ändert an dieser Haltung zunächst nichts. Dennoch baut sich während dieses Gesprächs zunehmend eine fast unangenehme Spannung auf, hofft man doch während dieser Diskussion nun endlich den Grund für den Angriff der Vögel zu erfahren. Dieser Wunsch nach Aufklärung bleibt bis zum Ende unerfüllt, ermöglicht es aber dem Zuschauer selbst Spekulationen über die Ursachen anzustellen, welche vielleicht schlimmer sind als der wahre Grund. Allerdings ist es fraglich, ob es überhaupt einen wahrhaftigen Grund gibt und es je vorgesehen war, diesen in irgendeiner Form zu erläutern.

So geht es in dem Film eben nicht um das Wieso und Weshalb, sondern um den bloßen Horror des Angriffs und das Entsetzen welche diese Angriffe auslösen. Es erfolgt kein „Aha-Effekt“, welcher die Spannung senken könnte und die Erwartungen der Zuschauer eventuell zu enttäuschen vermag. Im Gegenteil, der Zauberer lässt sich in diesem Film nicht in die Karten schauen und behält seine Illusion und seine Wunder, wie schrecklich oder vielleicht banal diese auch sein mögen, für sich. Nur ein einziges Mal erhält der Zuschauer eine Vermutung, was eine mögliche Ursache für die Angriffe sein könnte. Nach dem Großangriff auf die Stadt und das Restaurant beschuldigt einer der Gäste Melanie der Auslöser zu sein, da erst mit ihrer Ankunft die Angriffe begannen. Diese Beschuldigung ist allerdings ziemlich haltlos und wird während des Films auch nicht weiter thematisiert.

Die größte Stärke des Films besteht ohne Zweifel in der Darstellung der Vögel. Während diese zuerst als zahme Haustiere, als Witzfiguren und sogar als Speise vorgestellt werden, entwickeln sich diese mit der Steigerung ihrer Anzahl und so auch ihrer Lautstärke zu wahren Schauergestalten. Mit jeder Filmminute, die verstreicht, steigt der Schrecken, welcher von ihnen ausgeht. Unheimlich ist dabei nicht nur allein die Tatsache, dass sie anscheinend ohne Grund angreifen, sondern dies auch mit einer gewissen Zielstrebigkeit und Berechnung tun. Sie greifen nicht willkürlich irgendwelche Personen an – Nein, sie warten bis die Menschen sich beinahe wieder in Sicherheit wähnen und greifen dann berechnend und zielstrebig Augen und Hände der Menschen an. Der Schwarm und dessen Vollstrecker vermitteln so einen gewissen Grad an Intelligenz und lassen ihn so noch bedrückender erscheinen.

Das Ende des Films bildet den Höhepunkt der Spannung. Besonders ist es allerdings, dass die Geschichte nicht mit einem lauten Knall endet, sondern fast mit Stille, welche seine Zuschauer allerdings fast zu erdrücken droht. So müssen sich die Protagonisten zwar kurz vor Schluss mit einem angreifenden Schwarm auseinandersetzen, diesen sieht man aber nicht, sondern er tritt nur durch den betörenden Krach, während er das verbarrikadierte Haus angreift, in Erscheinung. Sehen kann man den Schwarm nur zum Schluss. Hierbei ändert sich aber dessen Darstellung. Während er zuvor nicht sichtbar aber hörbar war, wird er nun gesehen aber kaum gehört. Der Höhepunkt des Films besteht darin, dass sich die Hauptfiguren durch eine Vogelschar hindurchschleichen müssen, die Vögel aber im Grunde nur dasitzen und zuschauen. Klingt die Beschreibung dieser Szene wenig spannend, so ist ihre Darstellung im Film dennoch Spannung pur. Das Ende ist als solches keins, da der Zuschauer weder erfährt warum die Vögel nun angegriffen haben, noch ob die Hauptfiguren wirklich entkommen.

Nicht grundlos handelt es sich bei Hitchcocks The Birds heute um einen Klassiker. Auch wenn die Kritiken ihn in der Regel hinter anderen Filmen von Hitchcock wie Psycho einstufen, war dies dennoch Kritik auf hohem Niveau. Aus heutiger Sicht betrachtet ist es besonders die Figurenkonstellation zwischen Melanie und Mitch, welche antiquiert anmutet. So verkörpert Melanie die eingebildete und verwöhnte junge Frau, welche Mitch zwar oberflächlich kritisiert, ihm dann aber dennoch hinterherjagt. Mitch als solcher natürlich wie der Ritter in strahlender Rüstung, welcher sein Mädchen und seine Familie nicht nur beschützt, sondern letztendlich auch im Alleingang vermutlich gerettet hat. Lässt man diesen Plot allerdings mal außer Acht, verbreitet der Horrorstreifen heute noch genauso viel Schrecken, wie er es vor über 50 Jahren bereits getan hat.