Ein Hauch von Feminismus in JOHNNY GUITAR

— Eine Kritik von Katharina Barth

Als Truffaut 1955 seine Filmkritik zu dem US-Western Johnny Guitar, Wenn Frauen hassen verfasst, ist der Zweite Weltkrieg erst seit zehn Jahren vorüber. Es ist die Anfangsphase des Kalten Krieges, Antikommunismus ist in den USA auf dem Vormarsch und Frankreich befindet sich in den Kolonialkriegen. Es ist eine Zeit der Unruhe, des Aufstandes und der Unsicherheit. Gutes, unterhaltendes und ermunterndes Kino ist eine willkommene Ablenkung. Die Maschine Hollywood ist in vollem Gange und die hier produzierten Filme erlangen große Berühmtheit. Doch das ist nicht unbedingt das, was Truffaut sucht. In seiner Kritik „A Wonderful Certainty“ wird deutlich, dass er eben nicht nur auf Entertainment fixiert und der schillernden Hollywood-Narration verfallen ist. Denn für Truffaut muss ein Film mehr haben, eine Geschichte erzählen durch Bild, Ton und Schnitt, sodass der Regisseur zum auteur wird und mehr Einfluss nimmt auf sein Werk. In seiner Kritik zu Johnny Guitar steht also der Film selbst gar nicht so sehr im Vordergrund. Dieser scheint für Truffaut nur Mittel zum Zweck zu sein, um sich dem Regisseur selbst und seinen Leistungen zu widmen. Dies macht er deutlich, indem er schreibt: „Johnny Guitar is by no means its auteur’s best film“. Bemerkenswert daran ist, dass der restliche Text eine wahre Lobeshymne auf den Regisseur Nicholas Raymond Kienzle darstellt, gespickt mit ein bisschen Klatsch und Tratsch aus Hollywood. Truffaut wählt trotzdem einen Film als Beispiel, der seiner Meinung nach eben nicht zu den besten Leistungen von Ray gehört. Jedoch kann über Ray gesagt werden, dass er zur Zeit der Erscheinung von Johnny Guitar, also im Jahr 1954, noch als Außenseiter in Hollywood gilt. Viele Menschen verstehen seine Filme nicht, Truffaut scheint jedoch eine Ausnahme darzustellen. Er schafft es in seiner Kritik, mit Hilfe des Films Johnny Guitar, eine Brücke zwischen Ray und seinen Kritikern zu bauen und stellt dabei die Bedeutung und den ästhetischen Effekt des Kinos an erste Stelle. Er will den Film wieder als eine Gesamtkomposition verstanden wissen und den tieferen Sinn von Kino wieder aufleben lassen. Denn obwohl Johnny Guitar hier für sein „editing“ kein Lob erntet, so macht Truffaut bewusst, dass es in diesem Film doch um ganz andere Dinge geht. Er beschreibt zum Beispiel die Positionierung der Schauspieler in der Anfangsszene als „migratory birds“ und man kann noch einige Beispiele, wie die Farbgebung oder die Verwendung von Musik hinzufügen, die diesen Film dann eben doch wichtig werden lassen beziehungsweise ihm eine Berechtigung geben. Vielleicht ist es aber auch gerade die Ernsthaftigkeit der Filme, die die allgemeine Öffentlichkeit stört. Auch darauf geht Truffaut in seiner Kritik ein und behauptet, dass die Irritation aus dem „realism“ und der „extravagance“ von Rays Filmen stammt. Betrachtet man die historische Situation, so ist dies durchaus verständlich. Nach zwei Weltkriegen, die doch relativ kurz hintereinander stattgefunden haben und dem Kalten Krieg vor der Haustür, möchte man nicht auch noch im Kino mit der harten und kalten Realität konfrontiert werden. Die Verweichlichung der Filmindustrie ist jedoch genau Truffauts Problem, denn ein Regisseur ist seiner Meinung nach eben ein Autor, der seinen Film mitträgt und aus diesem eine Erzählung, eine Geschichte und ein Kunstwerk macht. Auch bezeichnet er Rays Johnny Guitar nicht als Western und gleichzeitig doch. Denn Johnny Guitar ist ein Western, der „dream-like, magical, unreal to a degree, delirious“ ist.

Der missverstandene Western

Western sind bis heute ein interessantes Phänomen, denn eigentlich steckt dahinter immer das gleiche Konzept. Es geht um Heldentum, um Fortschritt, um Gerechtigkeit und Familie. Gerade deshalb war der Western auch in den 1950er Jahren sehr beliebt, da dieser altbekannte Werte aufleben ließ. Man erinnert sich zurück an Tradition, Ursprung und Stolz. Mit Blick auf den historischen Zeitraum ist eine solche Rückbesinnung Balsam für die Seele und füllt das Herz mit Freude. Viele Western erscheinen surreal, unwirklich und träumerisch, Johnny Guitar vereint diese Qualitäten aber auf andere Art und Weise. Denn die Hauptfigur ist eben nicht der typische Held, die Gejagten sind eben nicht unbedingt die Bösen, Recht und Ordnung werden so gebogen, wie es den Figuren gerade passt. Gut und Böse scheint sich zu vermischen und der Zuschauer sieht einen Film, der eben nicht durch die Technik glänzt aber versucht eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Und genau das sieht Truffaut. Denn er stellt sich mit dieser Kritik nicht gegen Hollywood, doch eine kleine Rüge in Richtung der „Großen“ scheint sich hier abzuzeichnen. So führt er aus, dass man den Sinn des Kinos nicht verstanden hat, wenn man Ray als einen Amateur betrachtet, der keine guten Filme produzieren kann. Vom technischen Aspekt her mag dies stimmen, jedoch haben seine Filme eine Bedeutung und eine Sinnhaftigkeit, die Hollywood, seiner Meinung nach, nicht einfach ignorieren darf. Natürlich spricht Truffaut den großen Regisseuren Hollywoods nicht ihre Bedeutung ab, er mahnt aber zu einer höheren Akzeptanz im Namen des Kinos. Denn gerade ein Western wie Johnny Guitar, der nicht alle Klischees und Traditionen eines Westernfilms bedient, ist es wert angeschaut und interpretiert zu werden. Die rivalisierenden Helden eines Western mit Frauen zu besetzen, ist in den 1950er Jahren mit Sicherheit eine Seltenheit. Dazu gehört viel Mut, den manch ein berühmter Regisseur Hollywoods nicht verstand oder akzeptierte, da die Rolle der Frau zu dieser Zeit klar definiert war. Starke, eigenständige und schlagfertige Frauen waren nach Kriegsende nicht gewünscht. Die Rückkehr zur Familie als das höchste Gut, machte aus der Frau nichts weiter als eine Hausfrau und Mutter, die ihrem Mann unterwürfig war und sich selbstlos um ihn gekümmert hat. Truffaut erwähnt die starken weiblichen Hauptrollen im Film in seiner Kritik nicht konkret, doch man muss ehrlich sagen, dass er in seiner Kritik sowieso schon kein Blatt vor den Mund nimmt. Die klare Kritik an Hollywood und die Bewunderung für Ray haben ihn vielleicht auch dazu bewegt, die Kritik im Jahr 1955 erst einmal unter seinem Pseudonym Robert Lachernay zu veröffentlichen. Offenbar konnte man Hollywood schnell verärgern und da er gerade erst begonnen hatte beim Cahiers du Cinéma zu arbeiten, ist dieser Schritt als eine Vorsichtsmaßnahme betrachten. Schade ist, dass Truffaut nur unterschwellig auf die Bedeutung der Protagonistinnen eingeht und sich nur zu Umschreibungen wie „dream-like“ oder „unreal to a degree“ hinreißen lässt. Natürlich sind diese zutreffend und die dargestellte Stärke der Frauen ist tatsächlich zu diesem Zeitpunkt „unreal“ oder auch unmöglich, aber Truffaut schwenkt schnell wieder auf die männliche Elite aus Hollywood und den männlichen Regisseur um, ohne auch nur mit einem Satz zu erwähnen, dass es eigentlich Frauen sind, die in diesem Film den Ton angeben. Dies kann natürlich auch der Grund dafür sein, dass dieser Film so verrufen war, da er ein Szenarium darstellt, welches man so eigentlich nicht sehen oder umgesetzt wissen wollte.

 

Johnny Guitar – Ein Film mit Vorbildfunktion

Meine Arbeit soll an diesem Punkt nicht in eine Feminismus-Debatte übergehen, jedoch ist Johnny Guitar, Wenn Frauen hassen in seinen Aussagen, gerade was Frauen betrifft, bis heute sehr relevant. Der Film ist heute zu einem Klassiker avanciert und Truffaut scheint es vorausgesehen zu haben. Es sind die stolzen, eigenständigen und selbstbewussten Frauen, die diesen Film so sehenswert machen. Gerade der Western, welcher dominiert wird von Männern, bekommt so einen neuen Anstrich und eine neue Bedeutung. Natürlich werden viele Klischees eines Westernfilms erfüllt, denn der Bau einer Eisenbahnstrecke, Whiskey, Pistolen, Ehre und Macht sind Themen, die in fast jedem dieser Filme behandelt werden. Interessant ist allerdings an Johnny Guitar, dass es eben mal nicht nur um die Ehre und Macht eines Mannes geht, der sich dann mit seinem Feind duelliert. In Johnny Guitar sind es zwei Frauen, die sich allein schon mit ihren eiskalten, starren Blicken versuchen sich gegenseitig zu töten. Vienna besitzt einen Saloon, während Emma eigentlich fast das ganze Land in der Umgebung ihr Eigen nennen kann. Da in naher Zukunft eine Eisenbahnstrecke an Viennas Saloon gebaut werden soll, weitet sich auch ihr Machtbereich weiter aus. Emma sieht darin eine Bedrohung und setzt alles daran Vienna und ihren Saloon zu zerstören. Es ist sehr bedeutungsvoll, dass es gerade zwei Frauen sind, die in diesem Film die größte Macht besitzen. Man könnte dies schon als ersten Hauch von Feminismus werten, der sich hier in den Film eingeschlichen hat, denn eine solche Darstellung von Frauen war nicht alltäglich. Es ist jedoch sehr erfrischend einmal einen Western zu sehen, der eben nicht nur von Männern dominiert wird. Es scheint nichts übrig geblieben zu sein von der Weichheit, Grazie und Gefühlsduseligkeit einer Frau. Viele Zuschauer und auch Kritiker hat dies 1954 wahrscheinlich abgestoßen, da zu dieser Zeit ein ganz anderes Frauenbild propagiert wird. Die starke, eigenständige Frau braucht niemand, aber genau das ist es, was diesen Film auch heute noch so bedeutsam macht. Zu zeigen, dass Frauen auch Positionen von Macht einnehmen und ihr eigener Herr sein können, ist damals wie heute wichtiger denn je. Und trotzdem wird den Frauen im Film auch Schwäche zugestanden, so dass ein, meiner Meinung nach, reales Bild einer Frau gezeichnet wird. Natürlich wäre dann an dieser Stelle die Frage, was denn eine Frau überhaupt ausmacht, aber dies würde zu weit führen. Als reales Bild einer Frau sehe ich eher, dass die Protagonistin eben nicht perfekt ist und sich nicht ganz der kalten Machthaberin hingegeben hat, die sie zu Anfang des Films porträtiert. Vienna kokettiert mit ihrer Weiblichkeit, verliebt sich und gibt sich hin. Der Fakt, dass sie ihren Ex-Freund Johnny Guitar nach fünf Jahren um Hilfe und Schutz bittet, stellt keine Bedrohung ihrer Machtposition und ihrer Eigenständigkeit dar. Eher zeugt es von Größe und ihrem Bewusstsein für die Situation. Um Hilfe zu bitten, ist nicht immer ein Zeichen von Schwäche oder Niederlage. Zwar flammt die Liebe zwischen Johnny und Vienna wieder auf, doch auch davon lässt Vienna sich nicht beeindrucken, als es darum geht sich durchzusetzen. Sie lässt sich nicht den Kopf verdrehen und folgt bedingungslos, denn sie setzt ihren Verstand ein und sieht sich selbst immer an erster Stelle.

Männer erscheinen in Johnny Guitar nur als Hilfsmittel oder als gefährliche Ablenkung. Beiden Frauen ist es möglich, Männer so zu manipulieren, dass sie genau das tun, was Vienna oder Emma wollen. Noch ungewöhnlicher ist, dass keiner der Männer protestiert. Vienna und Emma scheinen sich als Machtpersonen etabliert zu haben und so sind sie auch in vielen Szenen als Anführerinnen zu sehen. Alleine die Eifersucht zwischen den beiden Frauen lassen Männer zu einer gefährlichen Ablenkung werden. Besonders bemerkenswert ist auch der Titel des Films. Der Titel Johnny Guitar, Wenn Frauen hassen lässt vermuten, dass es hauptsächlich um eine männliche Hauptfigur geht, welche von zwei Frauen begehrt wird und so den Hass zwischen den Frauen entstehen lässt. Es ist sehr überraschend, dass Johnny zwar eine wichtige Rolle im Film spielt, jedoch definitiv nicht der Protagonist ist. Alle Vorurteile, die man über den Westernfilm hat, werden nicht bestätigt. Stattdessen trifft der Zuschauer auf starke Frauenfiguren, die eindeutig den Film dominieren. Es ist völlig gerechtfertigt, dass Johnny Guitar heute zu den Filmklassikern zählt. Die Message des Films ist eindeutig und richtet sich vor allem an Frauen: You can be what you want to be. Der frühe Feminismus, der in diesem Film mitschwingt, ist bis heute hochaktuell und macht schmerzlich bewusst, dass sich noch viel verändern muss für eine Gleichstellung von Mann und Frau. Schade ist einzig und allein, dass es die beiden eigenständigen und machtvollen Frauen sind, die sich gegenseitig „bekriegen“. Heutzutage will man richtigerweise, dass Frauen sich unterstützen, um ihre Ziele zu erreichen und sich nicht noch zusätzlich das Leben gegenseitig schwer machen. Hier erkennt man in Johnny Guitar noch einige veraltete Stereotype über Frauen, die sich wegen der Liebe zu einem Mann die Augen auskratzen. Vienna kann trotzdem, auch heute noch, eine Vorbildfunktion einnehmen. Sie lässt sich weder einschüchtern noch zu etwas drängen, sie kann sich selbst versorgen und hat ambitionierte Pläne für ihre Zukunft, außerdem ist sie loyal, hilfsbereit und standhaft. Sie verfolgt ihre eigenen Ziele, ist sich aber auch nicht zu schade um Hilfe zu bitten oder zu feige Gefühle zuzulassen. Ray hat eine faszinierende Figur erschaffen, die es meiner Meinung nach schafft männliche und weibliche Eigenschaften so zu vereinen, dass ein glaubwürdiges Frauenbild entsteht, welches eben nicht von weiblichen Stereotypen geprägt ist. Deshalb sehe ich den Film auch heute noch als sehr relevant an, da dieser Mut machen oder zum nachdenken anregen kann, vor allem die Themen mit denen wir uns auch heutzutage im Feminismus noch beschäftigen.