Wenn es eben doch so schlimm wird
— Eine Kritik von Marlene Kriegsmann —
Es gab zwei Gesichter, die bei der Premierenfeier von Kurt Maetzigs Film Ehe im Schatten im April 1948 in Hamburg für einiges Aufsehen sorgten – und es waren nicht die der Hauptdarsteller Ilse Steppat und Paul Klinger. Unter den geladenen Gästen befanden sich Veit Harlan und seine Frau Kristina Söderbaum. Veit Harlan, seines Zeichens verantwortlich für eines der am verabscheuungswürdigsten Werke der deutschen Filmgeschichte, Jud Süß, hielt es für angemessen, der Premiere eines Films beizuwohnen, der nicht nur die Geschichte eines an der Judenverfolgung zugrunde gehenden Ehepaares im Nationalsozialismus erzählt, sondern dessen Macher persönlich vom Holocaust betroffen waren – Produzent Walter Koppel, war selbst fünf Jahre in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen, Regisseur Kurt Maetzig verlor seine jüdische Mutter 1944, als sie sich aus Verzweiflung selbst das Leben nahm – und zu dessen Premiere in Hamburg viele im Nationalsozialismus Verfolgte geladen waren. Es überrascht also wenig, das Harlan und Söderbaum vom Kinobesitzer umgehend der Veranstaltung verwiesen wurde.
Ob diese Anekdote sich genauso ereignet hat, ist unerheblich. Sie verdeutlicht jedoch in jedem Fall, dass Ehe im Schatten nicht einfach irgendein Film über irgendein Liebespaar ist, sondern ein wichtiger Film, mit einer wichtigen Botschaft, der bei seiner Veröffentlichung für großes Interesse von allen Seiten sorgte. Ehe im Schatten dürfte heute den wenigsten noch ein Begriff sein. Das ist bedauernswert, auch wenn Siegfried Kracauer Recht gegeben muss in der Aussage, dass der Film „kein Kunstwerk im eigentlich Sinn“ sei. Der Film ist stilistisch wenig bemerkenswert, die Struktur konventionell, die Handlung traditionell erzählt, das Spiel der Darsteller*innen wirkt auch 1947 oft überholt in seiner Affektiertheit. Doch bei seiner Erstveröffentlichung konnte Ehe im Schatten große Erfolge feiern. Über 10 Millionen Besucher sahen den Film in den deutschen Kinos, in allen vier Besatzungszonen. 1948 erhielt der Film den Filmpreis Bambi in der Kategorie Künstlerisch Bester Deutscher Film. Ob diese Auszeichnung verdient ist oder nicht, ist hier nicht von Belang. Die Ehrung zeigt jedoch, dass Ehe im Schatten etwas geschafft hat, das vielen anderen aufarbeitenden Filmen der Nachkriegszeit verwehrt blieb: Er konnte seine Botschaft an eine Vielzahl an Menschen vermitteln und das vielleicht gerade dank seiner klassischen Erzählweise, seiner melodramatischen Gestaltung. Die konventionelle Machart machte den Film dem Publikum leichter zugänglich. Die breite Masse die sich diesen Film ansah, die deutsche Mittelschicht, steht im Zentrum von Siegfried Kracauers Kritik zu Ehe im Schatten. „Wenn, wie ich glaube, Ehe im Schatten eine tatsächlich vorhandene Geisteshaltung widerspiegelt, dann wäre die uneingeschränkte Sympathie, mit der der Film seine ‚guten’ Charaktere umgibt, ein Hinweis darauf, daß die Mentalität der deutschen Mittelschicht sich nicht wirklich geändert hat.“, resümiert Siegfried Kracauer resigniert seine etwas zwiespältige Filmrezension. Es ist keine vernichtende Kritik, die Kracauer verfasst hat, eher eine ernüchterte, enttäuschte. Der berühmte Kritiker hatte sich mehr politische Reife und eine gründlichere Selbstprüfung erhofft von dem Drama über die Ehe des Berliner Schauspielers Hans Wieland und seiner jüdischen Frau Elisabeth Maurer. Ehe im Schatten beginnt im Jahr 1933, als beide Protagonisten gefeierte Theaterstars sind. Doch kurz darauf wird Elisabeth als Jüdin Berufsverbot erteilt und sie muss sich nicht nur von der Bühne, sondern auch aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Auf Hans’ Karriere hat die Politik der Nationalsozialisten keine negativen Auswirkungen – im Gegenteil: Er etabliert sich immer weiter als Größe der deutschen Schauspielerriege, wechselt schließlich sogar zum Film. Während Hans also beruflich aufblüht, verkümmert Elisabeth an ihrer Untätigkeit und leidet psychisch wie auch physisch unter ihrer Isolation. Doch selbst nach den Ereignissen der Nacht des 9. Novembers 1938 schließt Hans eine Emigration Elisabeth entgegen aller Vernunft kategorisch aus. 1943 überredet Hans Elisabeth, ihn zur Premierenfeier seines neuen Films zu begleiten, wo sie erkannt wird und ihr folglich die Deportation droht. Um diesem Schicksal zu entgehen vergiftet Hans Elisabeth und sich selbst. Kracauer gibt diese Handlung mit dem Hinweis wieder, dass sie „angeblich“ auf einer wahren Begebenheit beruhe. Dieses kleine Wort mag zunächst unbedeutend erscheinen, doch wirkt es im Kontext fast herabwürdigend und unangemessen. Ehe im Schatten beruht tatsächlich, nicht angeblich auf einer wahren Begebenheit. Der Film ist eine Adaptierung von Hans Schweikarts Novelle Es wird schon nicht so schlimm, welche die wahre Geschichte des Schauspielerehepaars Joachim und Meta Gottschalk erzählt, die 1941 sich und ihren Sohn vergifteten – aus den gleichen Beweggründen wie die Figuren im Film. Dass Kracauer diese Tatsache nicht anerkennt, erklärt jedoch, weshalb er Ehe im Schatten gewisse Vorwürfe macht.
Einer seiner Hauptkritikpunkte ist, dass der Film nicht über das Genre des Melodrams hinauskommt, dass er keine Kausalitäten der Nationalsozialistischen Machtergreifung und anschließenden Herrschaft aufzeigt, dass die Nazis im Film „einfach als Eroberer“ dargestellt werden. Der Vorwurf ist nicht ungerechtfertigt, doch Kracauer übersieht den Grund hinter der Entscheidung für diese Darstellung: Die Nazis werden als Eroberer dargestellt, weil die durchweg apolitischen Figuren des Films diese als solche erleben. Für sie ist es etwas, das einfach über sie gekommen ist, mit dem sie nichts zu tun haben. „Hitler kam von innen!“ schreibt Kracauer weiter in wütendem Ton, da dies im Film nicht eingestanden wird. Seine Frustration ist auch hier verständlich, vor allem wenn man seine persönlichen Erfahrungen im Nationalsozialismus in Betracht zieht. Für Kracauer muss Ehe im Schatten zunächst wie ein Lichtblick gewirkt haben: Ein Film, der sich so unmittelbar nach den furchtbaren Ereignissen des Nationalsozialismus mit diesen auseinandersetzt und somit als Anzeichen einer umgehenden selbstkritischen Aufarbeitung auftritt. Er sieht sich darin getäuscht, lässt jedoch außer Acht, dass Ehe im Schatten nie behauptet, die Entstehung des Nationalsozialismus nachvollziehen zu wollen. Dem Film ist ein persönliches Drama, das sich auf den privaten Raum beschränkt und vielmehr den Anspruch hat, der Geschichte zweier realer Menschen gerecht zu werden und dabei zu vermitteln, wie gefährliche politische Untätigkeit ist. Ehe im Schatten ist darüber hinaus eine überaus persönliche Arbeit für Regisseur Kurz Maetzig, dessen Mutter selbst als Jüdin 1944 Suizid beging. Maetzig hatte zuvor noch nie Regie geführt oder ein Drehbuch geschrieben. Dass er Ehe im Schatten trotzdem sofort umsetzen wollte, zeigt Maetzigs persönliche Betroffenheit und seine Verbundenheit gegenüber der Thematik. Kracauer übergeht diese individuellen Einbettung und nimmt dem Film somit eine wichtige Kontextualisierung. Stattdessen versteht er ihn als „Portrait der deutschen Mittelschicht unter Hitler“ und interpretiert ihn weiterhin als „Hinweis darauf, daß die Mentalität der deutschen Mittelschicht sich nicht wirklich geändert hat“. In diesen Aussagen kommt wieder mehr Kracauers Frustration über Deutschland und seine Bewohner insgesamt zum Ausdruck, als ein wirkliches Urteil zum Film. Kracauer sucht in Ehe im Schatten nur die gesellschaftliche, politische Bedeutung und diejenige, die er findet, hält er für wenig wünschenswert. „Es ist kaum möglich, die politische Unreife von Ehe im Schatten zu stark zu betonen“, bemängelt er an einer anderen Stelle. Die politische Unreife manifestiert sich für ihn darin, dass der Film nur in Kategorien einer individuellen Moral arbeitet, dass es nur um persönlichen Anstand geht und nicht nur die Komplexität der Figuren stark darunter leidet, sondern vor allem gesamtgesellschaftliche Bezüge vernachlässigt werden. Kracauer hat an dieser Stelle keineswegs Unrecht. Die Figur des Doktor Silbermann wirkt nicht weniger überspitzt und stereotyp gut, wie der von Kracauer zum Vergleich herangezogene „Jud Süß“ böse war. Es ist jedoch zu einfach, ja sogar ungerecht, dem Film politische Unreife vorzuwerfen. Die Figuren in Maetzigs Drama handeln nicht politisch, wenn überhaupt nur opportun. Ihnen geht es, wie Kracauer mehrfach bemängelt, tatsächlich nur darum ihren persönlichen Anstand zu bewahren, weiterreichende Implikationen werden ausgeblendet. Sie sind «alle Gott sei Dank nur Künstler» und können «auf Politik pfeifen» tönt ein Theaterkollege des Paares zu Beginn laut. Doch genau hierin liegt das politische Urteil des Films. Maetzig zeichnet Figuren, die bewusst unpolitisch sind, die sich teilweise sogar etwas darauf einbilden, als gut situierte Künstler in einer Position zu sein, in der sie sich um Politik keine Gedanken machen müssen. «Es wird schon nicht so schlimm», wiederholen sie wie ein Mantra immer und immer wieder und sehen nicht, dass es bereits so schlimm ist. Maetzigs Kritik an der unpolitischen Mittelschicht könnte kaum deutlicher sein. Diese Kombination aus mangelnder eigener Verantwortung und opportunistischen Handlungen wird ihnen schlussendlich zum Verhängnis. Der Film kann im Aufzeigen dieser Zusammenhänge also durchaus als politisch reif bewertet werden; es ist nur eine andere Reife, als Kracauer es sich wünscht. Ehe im Schatten ist ein Appell an die Gewissen seiner Zuschauer*innen, es nie mehr zu dieser unpolitischen Haltung innerhalb der, von Kracauer vor allem angeklagten, deutschen Mittelschicht kommen zu lassen. Die Opfer in Maetzigs Film sind nicht einfach Opfer und ihre Selbsttäuschung und Selbstvorwürfe sind entgegen Kracauers Meinung nicht lediglich „weitere[…] Mittel, Mitleid für ihre tragische Hilflosigkeit zu erwecken.“ Sie sind viel mehr Symbole dafür, wozu politische Untätigkeit führt – einer selbstverschuldeten Tragödie. Hans und Elisabeth sind rein praktisch gesehen nicht hilflos: Elisabeth hat als Teil einer sogenannten ‚Mischehe’ lange Zeit Vorteile gegenüber Menschen in rein jüdischen Ehen. Sie muss ihre Wohnung nicht aufgeben, erhält mehr Essensrationen und kann sich trotz ihres Status’ relativ frei bewegen. Vor allem hat sie im Gegensatz zu weniger privilegierten Verfolgten durchaus die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Hans jedoch genießt seinen beruflichen Erfolg zu sehr, um an Emigration zu denken und alleine möchte er Elisabeth nicht ziehen lassen. Dieser blinde Egoismus endet in einer Tragödie und zwar im wörtlichen Sinne. Denn der Selbstmord aus Angst vor einer Trennung durch Deportation wäre nicht nötig gewesen, hätte Hans nicht darauf bestanden, sich mit Elisabeth in der Öffentlichkeit zu zeigen. Kracauer genügt diese Darstellungsweise allerdings nicht, was einerseits nachvollziehbar ist, aber auch schade. Durch seine Fokussierung auf mangelnde Kausalitäten der Machtergreifung übersieht er das eigentliche Anliegen des Films. Vielleicht hat Regisseur Maetzig sein Publikum und darunter Kracauer in seiner Interpretationsleistung der Botschaft des Films auch falsch eingeschätzt und hätte zu offenkundigeren Appellen und Anklagen greifen sollen. Doch selbst wenn man, wie Kracauer, diese Auffassung teilt – beziehungsweise gerade dann – sollte umso dringlicher die Frage gestellt werden: Woher hätte ein Film, der 1946 entwickelt wurde und zudem ein Erstlingswerk war, entstanden aus einer überwiegend emotionalen, persönlichen Motivation, eine wirkliche politische Reife nehmen sollen?
Auch der Darstellung der jüdischen Charaktere des Films kann Kracauer wenig abgewinnen. In Ehe im Schatten gibt es gute Juden und gute Nicht-Juden und von letzteren auch das Gegensätzliche. Weiter wird die jüdische Identität im Film nicht thematisiert oder abgegrenzt, woran sich Kracauer immens stört. Doch dass das Konzept des Jüdischen nicht weiter ausgeführt wird, dass einem möglichen „Anderssein“ keine Bedeutung beigemessen wird, sollte in diesem Fall nicht negativ bewertet werden. Sicher, diese Darstellung mag eine ‚umerzieherische’ Maßnahme gewesen sein, doch ihre Einfachheit sollte nicht leichthin als Vorwurf formuliert werden. Vielmehr zeigt sie doch, dass künstlich definierte Unterschiede, wie die Nürnberger Rassegesetze von 1935 sie etablierten, fern von jeglicher Realität liegen. Maetzig unterscheidet seine Figuren nicht anhand ihrer religiösen Überzeugung, sondern lediglich anhand ihrer Handlungen. Kracauer mag diese Darstellung als zu einfach und gekünstelt empfinden, dafür ist sie in ihrer Aussagekraft sehr eindeutig. Kracauers weiterer Vorwurf, jüdische Emigranten würden als Deserteure dargestellt, ist schwerer nachzuvollziehen. Es stimmt, Doktor Silbermann spricht sich vehement gegen eine Emigration aus, er verurteilt jedoch nicht die, die sich dafür entscheiden. Elisabeth und Hans Freund Kurt Bernstein verlässt Deutschland schon 1933 und tritt im Moment der Verabschiedung als die einzig rational handelnde Figur des Films auf. Elisabeth selbst möchte nach den Ereignissen des 9. November Deutschland verlassen und bleibt lediglich aus Liebe zu Hans. Für diesen gibt es keinen Grund zu gehen und er ist der Überzeugung, dass sein Status als ‚Arier’ ausreicht, um Elisabeth vor Verfolgung und Deportation zu schützen. Dass es doch anders kommt, zeigt nur die Naivität der Figuren und wie gefährlich ihre Selbsttäuschung ist. Vielleicht ist es an dieser Stelle der Rezension auch überwiegend Kracauers persönliche Emigrationserfahrung, die ihn diese Darstellungen aus einem anderen, sensibleren Blickwinkel betrachten und zu seinem Urteil kommen lassen.
Kracauers Rezension vermittelt insgesamt das Gefühl, dass er sich gewünscht hat, Ehe im Schatten, möge ihm besser gefallen. Er weiß die allgemeine Idee des Films zu schätzen, der für ihn immerhin und doch nur „der Versuch einer Selbstprüfung“ ist. Er hebt auch lobend bestimmte Stellen vor: „Das besondere Verdienst des Films ist seine Ehrlichkeit, die zeitweise eindrucksvollere Wirkungen erzielt als der Glanz Hollywoods“, gesteht er dem Film schließlich zu. Auch von der quälenden Schlusssequenz des Films, die den Freitod des Paares darstellt, zeigt er sich beeindruckt. Dabei sind es gerade diese Szenen am Ende, in denen das theatralische Spiel Ilse Stepparts als fast aufdringlich pathetisch inszeniert wird. Doch wirklich anfreunden, kann Kracauer sich mit dem Film nicht. Zu sehr stören ihn die passive Haltung der Protagonisten, das Fehlen historischer Kausalitäten, die Anklage der deutschen Bevölkerung. So weit man Kracauers Kritik auch nachvollziehen mag, Ehe im Schatten ist mehr als „der Versuch einer Selbstprüfung“. Er schildert auf eindringliche Weise die Konsequenzen politischer Untätigkeit, des Verlassens auf individuelle Anständigkeit. Besonders im zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet, ist der Film beachtenswert. Assoziationen mit dem deutschen Film nach dem Zweiten Weltkrieg beschränken sich heute leider zu oft auf das sich anschließende, eine Dekade dauernde Kapitel des vielfach belanglosen, banalen Heimatfilms. Dabei werden die „Trümmerfilme“, die unmittelbar nach Kriegsende entstanden, leicht übergangen, obgleich in dieser Periode zweifelsohne die bedeutenderen Werke entstanden, angeführt von Die Mörder sind unter uns. Ehe im Schatten lässt sich nicht als Trümmerfilm kategorisieren und soll hier auch nicht mit diesen verglichen werden. Es ist jedoch wichtig, zu verstehen, dass er in einem Klima entstand, indem aktiv filmische Aufarbeitung betrieben wurde und sich gleichermaßen als aufarbeitend versteht. Er tut dies nicht gesamtgesellschaftlich, wie Kracauer deutlich bemängelt, sondern im privaten Raum. Er stellt keine großen moralischen Fragen, klagt nicht an. Diese Anklage vermisst Kracauer auch darin, dass „die letzte Konsequenz der Deportation“ im Film nicht erwähnt oder sogar gezeigt wird. Es stimmt, vor dieser unbequemen, furchtbaren Wahrheit scheut sich der Film. Lediglich in einer Traumsequenz wird Elisabeths drohendes Schicksal angedeutet, jedoch nicht zu Ende gedacht. Vielleicht ist dies dem Umstand geschuldet, dass 1947 kein Aufzeigen der Grauen der Konzentrations- und Vernichtungslager notwendig war, da diese in den meisten Köpfen noch verankert waren. Vielleicht hat Kurt Maetzig im Rahmen des Melodrams auch keinen Platz für eine solche Szene gesehen. Vielleicht hat Kracauer an dieser Stelle aber auch einfach Recht und das bewusste Weglassen deutet schon eine Tendenz an, die in den folgenden Jahren zu einem (filmischen) Trend wurde. Ehe im Schatten ist im Ganzen kein unbequemer Film. Ein tragischer, ja, ein trauriger auch und ein erschütternder, aber kein unangenehmer. Die Botschaft des Films über die Gefahren politischer Untätigkeit ist zwar deutlich, aber eine Anklage der Zuschauer*innen, ein Wachrütteln oder Vor-Augen-Führen, findet nicht statt. Kracauer sieht dies als den großen Mangel des Films und ist empört über das vermeintliche Entlastungsangebot, das den Zuschauer*innen gestellt wird durch die seiner Ansicht nach hilflose, opferhafte Darstellung der Charaktere. Es scheint leicht, ihm recht zu geben. „Sie machen sich zwar wiederholt Selbstvorwürfe, die Arena nicht als Kämpfer betreten zu haben, aber diese seltenen Anflüge von Einsicht erweisen sich als bloß rhetorische Proteste, die nirgendwo hinführen.“, bemängelt Kracauer die Handlungen der Figuren des Films. Das ist eine Aussage, die anstandslos übernommen werden kann. Sie muss jedoch ergänzt werden um den Zusatz, dass dies wahrscheinlich mehr den Tatsachen entspricht, als Kracauer es sich wünscht. Im Film geht es nicht um Widerstandskämpfer, sondern um ein Ehepaar und dessen Bekanntenkreis, denen es lange Zeit gut genug geht, die Zeichen der Zeit ignorieren zu können, die sich auf ihre unpolitische Haltung etwas einbilden und die stets darauf pochen „Es wird schon nicht so schlimm.“ Auch hier ist Kracauers Kritik also nachvollziehbar, kann aber durch den anderen Anspruch, den der Film hat, entkräftet werden. Ehe im Schatten ist nicht der Film, den Kracauer sich aus dem Deutschland der Nachkriegszeit gewünscht hat. Doch gerade durch den Verzicht auf schwer anzuschauende Szenen konnte der Film eine so große Zuschauerschaft finden und somit seine, wenn auch begrenzte, so dennoch wichtige Botschaft zu übermitteln. Diese Leistung herabzuwürdigen, weil der Film nicht alles leistet, was Kracauer sich vorgestellt hat, scheint etwas unfair. Kracauer besteht so sehr auf diesem Kritikpunkt, weil der Film für ihn die momentane Mentalität der deutschen Mittelschicht widerspiegelt und diese ihn erschreckt, da sie sich nicht von der Autoritätsvorstellung der Vergangenheit zu unterscheiden scheint. Diese Beobachtung mag zutreffen. Doch Kracauer lässt unerwähnt, dass die Figuren im Film an dieser Haltung zugrunde gehen und somit die Gefahren des Passivseins durchaus drastisch aufzeigen.
Ehe im Schatten ist kein perfekter Film und dennoch muss der Versuch der Selbstprüfung mehr gewürdigt werden, als Kracauer dies tut. Kurz Maetzig konnte mit seinem Werk einen kleinen Beitrag zur kurzen Phase der Aufarbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg beitragen, bevor sämtliche Vergangenheitsproblematiken für ein Jahrzehnt im Schwarzwald, im Silberwald, in der Heide und an den übrigen Schauplätzen des Heimatfilms begraben wurden. Deutschland gilt mittlerweile als Vorbild der (filmischen) Vergangenheitsaufarbeitung und -bewältigung, doch diesem Status ging ein Jahrzehnte dauernder Prozess voraus. Mittlerweile sind unzählige Dokumentationen, Spielfilme, Chroniken und vieles mehr entstanden, die die Nationalsozialistische Herrschaft von 1933 bis 1945 sowie ihre Entstehung auf gründlichste Weise und aus vielen Perspektiven selbstkritisch verhandeln, analysieren, bewerten und einordnen. Es wäre schön, wenn auch Ehe im Schatten einen Platz in diesem Kanon findet. Nicht, um den Film als makelloses Beispiel einer frühen Aufarbeitung zu feiern, aber doch, um seine vielen positiven Ansätze zu würdigen und zu untersuchen, weshalb bestimmte Inhalte vernachlässigt wurden und welche Konsequenzen dies hat. Denn mit dem zeitlichen Abstand betrachtet, den Kracauer beim Verfassen seiner Kritik nicht hatte, erscheint Ehe im Schatten vor allem als eindringlicher Film, dessen Geschichte mit ihrer Botschaft der Gefahr politischer Untätigkeit vor allem eine Hoffnung, eine Bitte zum Ausdruck möchte:
Dass es nie mehr so schlimm wird.